Riding Solo | USA-Reise von Sterling Noren

Riding Solo | USA-Reise von Sterling Noren

Der Filmemacher Sterling Noren ist mit seinem Motorrad kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten unterwegs. Immer auf der Suche nach den besten Rides. Und immer alleine. Hier berichtet er über seine Motivation, seine Gefühle und den tieferen Sinn seiner ausgedehnten Touren.

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Die Sonne hat den Horizont noch nicht erklommen, als mein Motorrad bereits unter dem fahl leuchtenden Neonschild meines alten Motels im Süden Arizonas steht. Der Motor blubbert im Leerlauf vor sich hin, während ich routiniert mein Gepäck überprüfe.

Ich habe dieses Ritual schon oft durchgeführt. Noch vor Morgengrauen die Checkliste abgehakt. Habe ich alles, was ich brauche? Hat das Motorrad genug Benzin? Wo soll’s heute hingehen?

Ich gebe Gas, und der Boxer rollt mit dumpfem Grummeln auf den alten Highway. Ich denke an die Reise, die vor mir liegt: Eine Solofahrt durch Nordamerika. Mein Körper und mein Motorrad gleiten als eine einzige Masse durch die rasch schwindende Dunkelheit dieses Morgens. Die Luft ist bereits warm, aber nichts im Vergleich zu der Hitze, die später in der Wüste herrschen wird.

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Seit ich denken kann, wollte ich immer ein Leben voller Reisen, Abenteuer und Kreativität führen. Die Kombination aus Motorradfahren und Filmemachen hat mir diese Möglichkeit eröffnet. Auf meinen Solo-Motorradreisen durch die Vereinigten Staaten habe ich denkwürdige Abenteuer erlebt, und das Filmemachen hat diesen Reisen einen tieferen Sinn verliehen.

Meinen ersten Motorradreisefilm habe ich 1998 gedreht, gleich in dem Jahr, in dem ich mir mein erstes Adventure Bike, eine BMW F 650 GS, gekauft hatte. Ich hatte mich für dieses Motorrad speziell wegen seiner Geländetauglichkeit und Robustheit entschieden. Ich wollte eine Maschine, die die rauen Pisten im Westen der Vereinigten Staaten bewältigen und gleichzeitig meine Camping- und Kameraausrüstung transportieren konnte.

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Obwohl ich seither viele Motorradreisen rund um die Welt gefilmt habe, waren einige meiner nachhaltig beeindruckendsten Reisen Solofahrten durch Nordamerika.

Mein Zuhause im Jonquil Motel in Bisbee, Arizona, ist ein idealer Ausgangspunkt, um die Vereinigten Staaten mit dem Motorrad zu erkunden. Ich bin umgeben von der Schönheit der Wüste im Südwesten, und Mexiko ist nur einen Katzensprung entfernt. Im Sommer fahre ich nach Norden in die Rocky Mountains oder weiter nach Kanada. Es gibt so viele fantastische Strecken auf meinem Heimatkontinent!

Ich ziehe es vor, die großen Interstates zu meiden und fahre fast ausschließlich auf Nebenstrecken. Besonders genieße ich es, holprigen Pisten zu folgen, auf denen nicht viele andere Menschen unterwegs sind. Und ganz nebenbei: Diese Strecken führen oft an die interessantesten Orte.

Ich fahre den Kamm eines Hügelzugs hinauf und halte inne in Ehrfurcht vor der Weite, die sich rundum ausbreitet. Vor mir liegt eine Abfahrt von fast 2000 Höhenmetern in Nordamerikas tiefste Schlucht. Ich spüre förmlich, wie die Schwerkraft am Motorrad zerrt, während ich vorsichtig die felsige Piste hinuntersteuere. Ringsum steigen die Canyonwände in den Himmel. Mir wird bewusst, dass kein einziger Mensch auf der Welt weiß, dass ich hier bin. Ich befinde mich in einem Ozean der Einsamkeit, und mein Motorrad ist mein Rettungsboot.

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Allein zu fahren ist eine komplett andere Erfahrung als gemeinsam auf Tour zu gehen. Für mich ist es die reinste und authentischste Form des Abenteuers Motorradreise. Wenn ich alleine on the road bin, ist das für mich eine Suche nach persönlicher und spiritueller Erneuerung. Wenn ich Glück habe, schenken mir die Götter der Straße diese Erfahrung.

Das Gefühl der Freiheit, das ich beim Alleinfahren empfinde, ist ein unvergleichliches Erlebnis. Und diese Schönheit der unbegrenzten Freiheit, die es meiner Meinung nach nur auf Motorradreisen gibt, möchte ich meinem Publikum vermitteln.

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Ohne Begleiter, um die ich mich kümmern muss, kann ich so viel oder so wenig fahren, wie ich will, so oft anhalten, wie ich will, oder den ganzen Tag lang fahren, ohne überhaupt einen Stopp einzulegen.

Doch ich halte häufig an. Um Fotos zu machen oder meine Drohne fliegen zu lassen. Und ich stelle fest, dass mir das viel leichter fällt, wenn ich alleine unterwegs bin. Es funktioniert einfach besser, weil ich das Erlebnis von Mitreisenden nicht beeinträchtige. Ich genieße diese Dualität aus Fahren und Fotografieren. Wenn ich einen guten Tag habe, bekomme ich viele Bilder, von denen ich weiß, dass sie eine gute Geschichte ergeben werden.

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Obwohl das Dokumentieren eines Motorradabenteuers eine Menge Arbeit ist und die gesamte Erfahrung meiner Reise beeinflusst, habe ich festgestellt, dass ich diese zusätzliche Herausforderung genieße, weil sie meinen Soloreisen immer einen tieferen Sinn verleiht. Ich kann meine Geschichten mit der Welt teilen und andere Motorradfahrer inspirieren.

Ich verlasse meinen Zeltplatz und fahre in einen sehr abgelegenen Teil der Wüste. Die Piste wird zu einer endlosen Abfolge von Anstiegen und steilen Abfahrten über losen und felsigen Untergrund. Ich falle mehrmals um und habe Mühe, das Motorrad wieder aufzurichten.

Es gibt hier keinen Schutz vor der erbarmungslosen Sonne. Die Umgebung ist verdorrt, und ich trinke mein letztes Wasser. Dies ist der Tiefpunkt der Reise: Ich bin erschöpft, dehydriert und meilenweit von einem geeigneten Lagerplatz entfernt. Nicht wenige Menschen sterben unter solchen Umständen.

Die emotionale Erfahrung, die Vereinigten Staaten vollkommen allein zu durchqueren, ist so reichhaltig und vielfältig wie das Terrain selbst. Zu den Dingen, die meine psychische Konstitution während einer Fahrt beeinflussen, gehören der Zustand meines Motorrads, die Beschaffenheit der Strecke, auf der ich fahre, das Wetter, meine Ernährung, Hindernisse und Schwierigkeiten auf dem Weg und natürlich die Gedanken, die mir durch den Kopf gehen. Es gibt so viele Dinge, die meine Gefühle während einer Solofahrt beeinflussen.

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Manchmal ändern sich meine Gefühle im Laufe des Tages mehrmals, ein andermal legt sich eine düstere Gefühlsfront wie eine Decke über mein Wohlbefinden und hält tagelang an. Das Alleinfahren hat mich gelehrt, die Vielfalt der Emotionen, die unterwegs auftauchen, zu verstehen und zu akzeptieren. Ich versuche immer, meinen Gefühlen gegenüber präsent zu sein, ohne sie beurteilen oder kontrollieren zu wollen.

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Das Soloreisen mit dem Motorrad bringt viele Probleme mit sich, vor allem, wenn man wie ich gerne in abgelegenen Gegenden des Landes unterwegs ist. Zu den größten Herausforderungen zählen technische Defekte, Unfälle, medizinische Notfälle, schlechtes Wetter, wilde Tiere, Navigation und Kommunikation. Ich mache mir über all diese Dinge keine allzu großen Sorgen, aber es versteht sich von selbst, dass man auf das Unerwartete vorbereitet sein sollte.

Die Belohnung überwiegt jedoch immer die Schattenseiten. Einer der lohnendsten Aspekte eines Solo-Motorrad­abenteuers ist die Möglichkeit, das Zurückgeworfensein auf sich selbst und die damit einhergehende Zufriedenheit zu erleben.

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Ich schlage mein Lager am Ufer eines Sees auf. Die umgebenden Felswände leuchten orange im Licht des späten Nachmittags. Die Luft ist weich und feucht, und ich rieche den opulenten Duft des Wüstenregens. Vögel flattern am Ufer umher, während Insekten summen und brummen. Die einzigen unnatürlichen Geräusche sind die, die ich mache, während ich mein Lager aufbaue. Ich habe die Zutaten für eine gute Mahlzeit und eine volle Flasche Wein dabei. Ausgestreckt in meiner Hängematte, das Motorrad im schwindenden Wüstenlicht geparkt, sehe ich zu, wie die Sonne untergeht. Dies wird eine gute Nacht werden.

Jede Reise hat ihre geografischen und emotionalen Wendepunkte, und ich freue mich auf die Herausforderungen, die sich mir stellen, wenn ich allein durch das Hinterland der Vereinigten Staaten fahre. Wenn ich mir für längere Zeit eine Auszeit vom Rest der Welt nehme, kann mein Inneres zur Ruhe kommen, sich entspannen und die Freiheit finden, die überall da draußen ist.

----- Ende -----

Touratech_Sterling_Noren_Portrait

Sterling Noren wurde am 20. August­ 1968 in Grand Haven­, Michigan, geboren. Nach seinem Studium der Kommunikationswissenschaften (Schwerpunkt Film und Video) an der Grand Valley State University in Allendale (MI) arbeitete Sterling in der Videoindustrie als Kameramann, Redakteur und Produzent.

Motorradfilme dreht Sterling seit 1998. Zahlreiche seiner Filme, die sich nicht nur mit Motoradreisen beschäftigen, wurden auf internationalen Festivals ausgezeichnet.

Im Jahr 2018 übernahm er gemeinsam mit Eva Rupert das Jonquil Motel in Bisbee (AZ), von wo aus er zu seinen Soloreisen startet.

Wer Sterlings Abenteuer verfolgen will, besucht den Motorcycle Travel Channel auf YouTube oder seine Website www.norenfilms.com



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