EN 2 – Eine Motorradreise durch das Herz Portugals von Dieter Schneider

EN 2 – Eine Motorradreise durch das Herz Portugals von Dieter Schneider

Die „Estrada Nacional 2“, kurz N2, zieht sich wie eine Perlenkette von Nord nach Süd durch Portugal. Es gibt auf der Welt nicht viele Straßen, die ein Land komplett durchqueren. Die „Route 66 Portugals“, wie die N2 werbewirksam auch genannt wird, gehört dazu. Lange 739 km und ungezählte Kurven ist man von Chaves im Norden nach Faro im Süden auf ihrem Asphalt unterwegs. Als ich vor einigen Jahren auf einer Motorradtour zum ersten Mal von der legendären Straße erfuhr, ergänzte mein Freund den Satz: „Die machen wir, wenn wir alt sind.“ Diese unterschwellige Geringschätzung hat die N2 nicht verdient, zumindest nicht in der Serra do Caldeirao, dem Mittelgebirge im Hinterland von Faro. Die Kurven vor meiner Haustür zwischen São Brás und Almovôdar sind schwindelerregend. Der Ritt über die Hügel der Serra und durch die endlose Korkeichenwälder hat mich neugierig gemacht auf den Rest der Estrada Nacional 2, dem längsten Wahrzeichen Portugals.

Zwischen der Rota da Cortiça (Korkeichenroute) in der Serra do Caldeirao nahe Faro im Süden und der bergischen Landschaft im Norden cruised der Motorradfahrer durch die Vielfalt der Natur; Pinienwälder, Weingärten, Oliven- und Obstplantagen, ebene Landschaften mit Viehzucht. Kunst, Kultur und Küche sorgen für Abwechslung neben der Straße. Die EN 2 ist alles andere als eine Rennstrecke, auch wenn das einzelne lebensmüde Biker in T-Shirt und Flippflops anders sehen. Man sollte sich Zeit nehmen für die Estrada Nacional 2, die sich wie ein roter Faden aus Asphalt durch die Kultur und Geschichte Portugals zieht. Reiseführer empfehlen acht bis vierzehn Tage. Es kann gerne mehr sein, schließlich liegen einige Sehenswürdigkeiten von Weltformat am nahen oder weiteren Wegesrand. „Die Route führt an sechs Kulturerbestätten der Unesco vorbei“, wird Armando Carvalho zitiert. Das historische Zentrum von Evora und die Kulturlandschaft des Weinbaugebietes des Dourotals gehören dazu.

Versteckt hinter der Pizzarella, die von der Deutschen Elisa seit 17 Jahren betrieben wird. Die Pizza wie auch der Besuch des Museums sind empfehlenswert. Ich werde von Sónia Martins empfangen, die mir die Geschichte von der „Calçadinha“ erzählt, einer alten Römerstraße in der antiken Provinz Lusitania. Entlang dieser uralten Steinstraße wurde Mitte des vorigen Jahrhunderts eine asphaltierte Teilstrecke der N2 gebaut. 1945 wurde die Estrada National 2 offiziell in den Straßenplan Portugals aufgenommen. Mit dem Bau von Autobahnen sowie dem demografischen Rückgang im Hinterland hat sie für die Wirtschaft und den Handel an Bedeutung verloren. Seit geraumer Zeit wird sie für den Tourismus erschlossen. In dem Museum von São Bras sind alte Fotos von den Bauarbeiten und Originalwerkzeuge zu sehen. Bevor ich aufs Motorrad steige, habe ich Respekt vor dem Bauwerk, das bereits in der Entstehung viele Menschenleben gekostet hat. Wie viele es danach im Verkehr waren, lässt sich mir nur durch das ein oder andere Kreuz am Straßenrand ermessen. Von Saudade, der portugiesischen Form des Weltschmerzes, berührt, starte ich in Richtung Norden.

In dem hügeligen Mittelgebirge der Serra de Caldeirao verweht die Saudade schnell mit dem warmen Fahrtwind. Es wartet purer Fahrspaß auf mich und mein Motorrad. Die Strecke zwischen São Bras de Alportel bis Almodovar sind 60 km voller Kurven. Es geht durch Korkeichenwälder. Es riecht nach Eukalyptus. Von manchen Aussichtspunkten kann man den Atlantik sehen. Natürliche Pools laden zur Abkühlung ein. Einen schönen Platz für einen Cafe Pingado und ein Pastell de Nata findet man immer.

Ab Ameixial beginnt der Abstieg aus der Serra und nach Almodovar verändert sich die Szenerie komplett. Die Region Algarve liegt hinter mir, ich bin im Alentejo. Die Landschaft wird eben, der Horizont weiter. Die Straßen brauchen keine Kurven. Zeit den Tempomat einzustellen. Olivenplantagen und Weinfelder säumen den Weg. Ich fahre durch die ärmste Region Westeuropas. Die Wasserspeicher leeren sich mit dem Klimawandel. Es ist heiß. Zeit zum Nachdenken unterm Helm und einem stahlblauen, wolkenlosen Himmel. In Gegenden wie Cascais in Lissabon oder Quinta di Lago an der Algarve wohnen die Schönen und Reichen. Nicht weit davon bin ich großflächig von Armut umgeben. Hier im Alentejo wird mir die Kluft aus der Perspektive der Armut in deutlich vor Augen geführt. Reich ist die Gegend hingegen an Kultur und Geschichte. Kirchen, Azulejos, verfallene Mühlen und Burgen sind Zeugen der Vergangenheit. „O tempo fez cair as pedras (Die Zeit hat die Steine fallen lassen)“, dieses Zitat aus Saramagos „Die portugiesische Reise“, das in Montemor-o-novo, im Besucherzentrum der mittelalterlichen Festung an die Wand geschrieben wurde, bringt meine Eindrücke auf den Punkt.

„Jenseits des Tejo“ ist die deutsche Übersetzung von „Alentejo“. Ich freue mich die Überquerung des Flusses, der in Lissabon unter den Augen des Cristo Rei, der riesigen Christusstatue, in den Atlantik mündet. Hier am Nordöstlichen Rand der historischen Provinz Ribatejo wird es grüner. Die Landschaft kennt wieder Berg und Tal. In Villa de Rei erreiche ich den geografischen Mittelpunkt Portugals. Diese Mitte ist nicht das Zentrum Portugals. Der Längsschnitt durchs Land, den die EN2 zieht, ist nicht der Durchschnitt Portugals. Man muss die die großen drei, Lissabon, Porto und Faro, die alle an der Küste liegen, mit ins Kalkül ziehen, wenn man das Land kennen will. Vielleicht ist man auf der Estrada Nacional 2 näher an der inneren Seele des Landes. Das Herz schlägt woanders.

Wer einen Roadtrip ohne Hetze und Stress erleben will, ist auf der EN2 genau richtig. Vom Campingplatz bis zur Luxusunterkunft ist alles buchbar. In Viseu, einer bezaubernden Stadt in der Weinregion Dão, habe ich mir eine Nacht im historischen Hotel „Pousada Viseu“ gegönnt. Das Verb pousar bedeutet im Portugiesischen sowohl „landen“ als auch „ruhen“ im Sinne von „ausruhen“ und „entspannen“. Auf Empfehlung einer Bekannten, bin ich in dem Hotel, das zu den Wahrzeichen der beschaulichen Stadt gehört, eingekehrt. Das ehemalige Hospital aus dem Jahre 1842 wurde 2009 vollständig restauriert. Ein gelungenes Beispiel dafür, wie man die „gefallenen Steine“, von denen Saramago schreibt, wieder neu zusammenbaut. Dem Alten wieder eine Perspektive geben, ohne es zu zerstören, wäre auch eine gute Strategie für das Hinterland von Portugal, deren Lebensader die Estrada Nacional 2 ist.

Einen weiteren Perspektivwechsel erfuhr ich bei der Überquerung des Douro bei Peso da Régua. Vor drei Jahren bin ich von der Mündung in Porto durchs Dourotal hierhergekommen. Diesmal, mit der südlichen EN2 im Rücken, ist es anders. Auch die reizende Stadt Lamego, in der ich die letzte Nacht geschlafen habe, wirkt mit ihren schönen Bildern noch frisch im Kurzzeitgedächtnis.

Irgendwie ist die Flussüberquerung dieses Mal intensiver und eindrücklicher. Es macht offensichtlich einen Unterschied, von wo man sich annähert. Am liebsten würde ich alle Weinbergwege hochfahren und die Aussichten genießen. Da wo ich es tue, öffnet sich ein Vexierbild mit Mosel- und Toscanalandschaft. Mit Recht hat die UNESCO aus der Weibauregion Alto Douro 2001 zum Welterbe ernannt. Der Vergleich vom Wein im Alentejo mit dem Vinho do Porto, der hier angebaut wird, macht den Unterschied der Landschaften deutlich. Die Estrada Nacional 2 führt durch die Vielfalt Portugals.

Für den Motorradfahrer steigt im nördlichen Teil der EN2, ab dem Dourotal wieder der Fahrspaß. Die Mittelgebirgslandschaften und die Kurven erinnern an den Süden. Das Finale meiner EN2-Tour findet „hinter den Bergen“ statt. So heißt die Region Trás-os-Montes übersetzt ins Deutsche. 12 Kilometer südlich der spanischen Grenze liegt Chaves. Hier ist Kilometer 0 der Estrada Nacional 2, der offizielle Ausgangspunkt. Ich bin sie rückwärts, im Count Down Modus, gefahren.

Mein Fazit: Weine aus dem Douro oder Alentejo, Meeresfrüchte - Cataplanas der Algarve oder gebackene Ziegen von Trás-os-Montes im Norden oder Desserts aus Ribatejo, die gastronomische Vielfalt sind Grund genug die EN2 als „Rota de Sabores (Genußroute) zu adeln. Die unterschiedlichen Landschaftsbilder, die alte Kultur, die vielen Traditionen, die bis heute in den Gemeinden gepflegt werden, macht aus der EN2 die „Rota de diversidade“, (die Straße der Vielfalt). Egal wie; im Auto, auf dem Motorrad, auf dem Fahrrad oder zu Fuß, alles ist möglich. Der Weg von Faro bis Chaves lohnt sich in jedem Fall. Von der anfänglichen Saudade, die mich in São Bras de Alportel kurz beschlich, wurde eine fast euphorische Freude darüber, dass ich an dieser Straße leben darf und sie nun meine Hausstrecke geworden ist. Boa Camina. Boa Viagem.



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