REISE | TOSKANA – Nachspielzeit

Während hierzulande die Temperaturen bereits um den Gefrierpunkt pendeln, lässt es sich Mitte November in der Toskana bei milder Witterung noch wunderbar touren. Perfekte Bedingungen also für eine kleine Saisonverlängerung mit der neuen BMW R 1300 GS Adventure.
Dass die Toskana ein lohnendes Ziel ist, ist spätestens seit Goethes Italienischer Reise kein Geheimnis mehr. Millionen von Besuchern aus aller Welt drängen sich alljährlich durch die Gassen der malerischen Altstädte, bewundern die Palazzi, stehen staunend vor den Werken Michelangelos und Da Vincis oder lassen sich von der exzellenten Gastronomie verwöhnen.
Doch es gibt auch eine ruhigere Seite dieser großartigen Kulturlandschaft. Wenn ab Ende September der Andrang langsam nachlässt und im Laufe des Oktobers die Besucherströme versiegen, kehrt Ruhe ein zwischen den Hügeln und rund um die alten Gemäuer.
Bei herbstlichen acht Grad starten wir gegen halb neun Uhr morgens die Motoren unserer Adventure Bikes. Die Reifen knirschen auf dem Kies, während wir gemächlich die ersten Meter zurücklegen. Bis zur Hauptstraße sind es ein paar Minuten auf einer gepflegten Schotterstraße, dann stürzen wir uns ins Kurvengetümmel. Hügelauf und hügelab windet sich die schmale Landstraße durch waldiges Terrain. Der Asphalt ist griffig und sauber, die Verkehrsbelastung der Strecke liegt unter der Nachweisgrenze. Ideale Bedingungen, den Motorrädern die Zügel zu lockern. Bald wird der Wald lichter und von den Hügelkuppen haben wir prächtige Blicke auf die beeindruckende Silhouette von Siena.
Verbindungsweg mit Spaßfaktor.
Links und rechts zweigen immer wieder unbefestigte Sträßchen ab. Das sind allerdings keine Feldwege, die im Nirgendwo enden, sondern reguläre Teile des toskanischen Verkehrsnetzes. Jo, bei Touratech für alles Digitale zuständig, kennt sich auch in der Offline-Welt bestens aus. Insbesondere hier in der Toskana, die der begeisterte Sportendurist seit vielen Jahren intensiv bereist. »Das sind die berühmten ‚Strade bianche‘, ihren Namen haben sie von ihrer fast weißen Oberfläche«, weiß Jo. Gerne folgen Irene und ich ihm auf diese gut in Schuss gehaltenen Kieswege. Allerdings mit gehörigem Abstand voneinander, denn jeder von uns zieht eine beeindruckende Staubfahne hinter sich her.
Auf Wunsch geht es in der Hierarchie der Verkehrswege aber auch noch einige Stufen weiter nach unten. Wir verlieren uns mit unseren Adventure Bikes in einem endlos wirkenden Gewirr kleinerer Nebenwege, die sich flowig durch Waldstücke schlängeln, sanften Tälern folgen oder Hügelkuppen erklimmen. Wasserrinnen, Abschnitte mit grobem Geröll oder steile Anstiege und Abfahrten steigern den Fahrspaß auf diesen Exkursionen. Auch wenn der November bereits weit fortgeschritten ist, die Temperaturen liegen zur Mittagszeit deutlich im zweistelligen Bereich. Je anspruchsvoller sich das Terrain gibt, desto mehr Luft lassen wir in unsere Anzüge.
Zypressen-Allee auf herrschaftlichem Anwesen.
Zu den Klischees der Toskana gehören untrennbar die Zypressen. In der außerhalb der Waldgebiete oft völlig kahlen Landschaft setzen sie mit ihrer spitzen Silhouette markante Akzente – als Gruppen hoch auf Hügelkuppen, als Einrahmung von Gehöften oder als elegante Alleen entlang der geschwungenen Straßen.
Auf die wohl berühmteste dieser Zypressenalleen treffen wir im Val d‘Orcia, genauer gesagt bei Terrapille. Regisseur Ridley Scott nutzte die idyllische Szenerie in seinem Epos »Gladiator« als Kontrapunkt zu den hektischen Kampfszenen in der Stadt.
Einmal mehr verlassen wir die Landstraße und zweigen in einen unbefestigten Weg ab. Nach einem kurzen Stück bergab kreuzt ein Bach die Fahrbahn. Zum Glück ist die Furt derzeit nicht allzu tief und gut überschaubar, so dass wir ohne weitere Erkundung mit einer hübschen Wasserfontäne ans andere Ufer fahren. Unmittelbar hinter dem Bach sind die Überreste einer Mühle zu erkennen, bevor wir unter einem Viadukt die ehemalige Eisenbahnstrecke passieren, die die Braunkohleminen von Murlo vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts mit Grosseto an der Mittelmeerküste verband. Gleich hinter dem gemauerten Torbogen tut sich rechter Hand ein riesiger Abenteuerspielplatz für Sportenduristen auf. Die Erosion hat in den verfestigen Sand tiefe aber wunderbar abgerundete Rinnen gewaschen. Steile Auffahrten erklimmen den rund 20 Meter hohen Steilhang. Frische Stollenspuren zeigen, dass hier kürzlich jemand richtig Spaß hatte. Mit den großen Reiseenduros bleiben wir wohlweislich in der Fußzone des Areals und rollen einmal quer durch das wellige Terrain.
Heute bleibt uns die Furt erspart…
Viel besser für unsere wuchtigen Motorräder geeignet ist der folgende Waldweg, dem wir kurvenreich bis zur nächsten Landstraße folgen.
Entlang der Strade bianche treffen wir auffällig oft auf Wegweiser mit der Aufschrift »Eroica«. Auch hier hilft Jos Ortskenntnis. »Die Eroica ist ein Fahrradrennen ausschließlich für Rennräder mit Stahlrahmen, die bis 1987 hergestellt wurden«, gibt er Auskunft. Fast 3.000 Höhenmeter werden auf der anspruchsvollsten und mit knapp 150 Kilometern auch längsten von fünf zur Wahl stehenden Runden von den Radsportlern bewältigt. Rund 60 Kilometer verlaufen auf Schotter, der Rest auf Asphalt. Das entspricht in etwa dem Verhältnis, wie wir es auf unserer Route vorfinden. Mit dem kleinen aber entscheidenden Unterschied, dass wir die zahllosen Höhenmeter nicht in den Knochen spüren. Nichtsdestotrotz sind wir, als wir beim letzten Licht auf das Gelände unserer Unterkunft rollen, auch ein wenig geschafft.
Das Navi hilft bei der Orientierung im Gewirr der kleinen Wege.
»Bimm, bimm, bimm«, die versammelte Mannschaft schreckt hoch, als Wirt Angelo kräftig eine Glocke läutet. »Mangiare!«, ruft Angelo mit dröhnender Stimme. Mit einem Schlag sind wir wieder hellwach, nachdem wir vor dem knisternden Kaminfeuer im Speisesaal des Agriturismo Viamaggio etwas schläfrig geworden waren. Kurz darauf steht der erste Gang vor uns, zwei kleine Portionen Gratin, eine mit Auberginen und Parmesan, die andere im Stile einer Lasagne. Hmm, das tut gut nach einem Tag auf dem Motorrad – und weckt die Vorfreude auf die weiteren Gänge.
Angelo De Mitri, wie unser Gastgeber mit vollem Namen heißt, ist auf dem südwestlich von Siena gelegenen Bauernhof aufgewachsen. Als er ein kleiner Junge war, kaufte seine Mutter das Anwesen und machte einen Pferdehof daraus. Angelo befuhr jeden Winkel des rund 400 Hektar großen Geländes mit seiner Enduro, perfektionierte seine Technik und mischte schließlich in der italienischen Meisterschaft mit und hat auch schon an den Red Bull Romaniacs teilgenommen. Als sich seine Mutter zur Ruhe setzte, wandelte Angelo den Betrieb in eine Enduropension mit riesigem Offroad-Areal um. Rund 60 Kilometer Endurostrecke gibt es auf dem stark reliefierten Gelände. Vom flachen Wiesenweg bis zur knackigen Steilauffahrt reicht das Spektrum. Die Trails sind in drei Schwierigkeitsgrade unterteilt, ein Farbleitsystem hilft den Gästen bei der Auswahl. 12 Unterkünfte, vom Doppel- bis zum Viererzimmer, mit insgesamt 30 Betten stehen zur Verfügung.
»Viele unserer Gäste kommen aus dem deutschsprachigen Raum«, erläutert Raffaele, Angelos rechte Hand. Einst kam er selbst als Gast mit seiner Enduro, jetzt ist er hier so etwas wie das Mädchen für alles. »Aber selbst aus Belgien und den Niederlanden reisen Endurofans zu uns«, sagt Raffaele, der sehr gut Deutsch spricht.
Auf schier endlosen Schotterstrecken unterwegs im Hügelland.
Doch nicht nur Individualisten nutzen die Möglichkeiten des Viamaggio, auch Hersteller buchen die Location für ihre Produktpräsentationen. Beta kommt seit 2011, letztes Jahr hat Dunlop einen neuen Reiseenduroreifen auf dem Gelände vorgestellt. »Besonders spannend wird es immer vor Saisonbeginn«, erläutert Raffaele. »Dann kommen internationale Topfahrer hierher zum Trainieren«. Und so gleicht das runde Dutzend gerahmter Jerseys an der Wand einem Who-is-who der internationalen Enduroszene. Gio Sala, Manni Lettenbichler, Alex Salvini, Steve Holcombe und viele mehr haben Angelo als Dank für seine Gastfreundschaft ihr Trikot dagelassen.
Als schließlich das Dessert auf dem Tisch steht, hat sich auch die Weinkaraffe schon ein gutes Stück gelehrt. Und dann geht Angelo mit einer Art Megaflachmann, der eher die Größe eines Kanisters hat, durch die Reihen seiner Gäste. Da passt es, dass er den Inhalt als »benzina« anpreist. Gut informierte Kreise behaupten allerdings, dass es sich in Wirklichkeit um einen guten Grappa handelt. Zum Glück haben wir zeitig den Weg ins Bett gefunden, denn es gibt am nächsten Tag noch einiges zu erkunden rund um unser Quartier.
Im Spätherbst setzt die Dämmerung früh ein. Erholsamer Straßenabschnitt.
Nach einigen Kilometern Anfahrt gelangen wir in eine weitläufigere Landschaft mit weniger Wald als am Vortag. Riesige Felder erstrecken sich über Hügel und Täler. Die Ernte ist bereits eingebracht, pastellige Beigetöne dominieren das Bild im milchigen Herbstlicht.
Wir verlassen uns auf Jos Navigation und folgen ihm über holperige Feldwege durch die sanft gewellte Szenerie. Teilweise klaffen tiefe Rinnen in den Wegen. Bei Nässe in den Lehm hineingefahren, sind diese Strukturen jetzt hart wie Beton. Während der offenbar ergiebigen Regenfälle hätten wir mit den schweren Motorrädern in dem Schlamm keine Chance gehabt, jetzt haben wir Spaß daran, auf den Graten zwischen den tiefen Furchen entlang zu balancieren.
Nachdem wir das Hügelland mit seinen geometrisch gepflügten Mustern passiert haben, gelangen wir wieder in waldreicheres Gebiet. Dort, wo keine Steineichen und andere immergrüne Bäume wachsen, dünnt das Blätterdach bereits aus. Eine dicke Laubschicht bedeckt den Boden, munter wirbeln die Blätter hinter unseren Motorrädern auf.
Rundgang in der Altstadt von Motalcino.
Berühmt für seine Weine thront Montalcino von weitem sichtbar auf einem Hügel. Eine resolute Polizistin verweist uns auf einen Parkplatz am Rande der Altstadt, und wir machen uns zu Fuß auf Entdeckungstor. Plätze und Gassen sind jetzt außerhalb der Saison angenehm leer. Trotz des sommerlichen Massentourismus hat sich Montalcino seinen Status als Stadt der gepflegten Lebensart bewahrt. Hochwertige Geschäfte mit Feinkost, Lederwaren und Kunsthandwerk säumen die Hauptstraße – und natürlich ungezählte Enotheken, deren Preisniveau unser Budget allerdings deutlich übersteigt.
Weindegustation in Montalcino.
Wir entdecken das gemütliche Lokal »La Taverna di Baietto«. Hier gibt es kleine Gerichte in Verbindung mit Weindegustationen, wir entscheiden uns allerdings für die trockene Variante. Pinsa, die toskanische Variante der Pizza, wird hier mit unterschiedlichen Belägen zubereitet. Regionaler Schinken steht zur Wahl, Mortadella, Butterkäse, der schwarz-weiße Stracciatella Käse und vieles mehr. Wer beim Verlassen des Lokals noch immer Hunger hat, kann sich an einem riesigen Kühlregal mit den unterschiedlichsten Salami- und Schinkensorten eindecken, die süße Fraktion findet Kuchen und Kekse in Hülle und Fülle.
Als wir uns die bisher zurückgelegten Strecken auf der Karte anschauen, stellen wir fest, dass wir uns trotz vieler gefahrener Kilometer nicht allzu weit von unserem Quartier entfernt haben. Und das wird sich auch am dritten Fahrtag nicht ändern. Die Highlights, die Jo für die letzte Etappe auf einer Google Map markiert hat, befinden sich ebenfalls in einem Umkreis von nicht mehr als 25 Kilometern Luftlinie. Hauptziel ist heute die beeindruckende Klosterruine Abbazia San Galgano.
Erholsamer Straßenabschnitt.
Wie es sich in den vergangenen Tagen bewährt hat, betten wir auch diesen POI in eine abwechslungsreiche Mischung aus kurvigen Landstraßen, Strade bianche und anspruchsvolleren Wald- und Feldwegen ein. Und so könnte man das noch viele Tage treiben, das fahrtechnische Niveau der Strecken beinahe beliebig variieren und abends zufrieden ins Viamaggio zurückkehren.
»Benzina!« Als Angelos Stimme durch den Speisesaal dröhnt und er seinen Kraftstoff großzügig ausschenkt, wird uns klar, dass unser spätherbstlicher Kurztrip durch die Toskana nach drei erlebnisreichen Tagen jetzt zu Ende ist.
UNTERKUNFT
Agriturismo Viamaggio
Strada vicinale di viamaggio 953016 Murlo SI, ItaliaFon
+39 335 763 91 86