Zeit-Los | Reise durch Nordgriechenland

Zeit-Los | Reise durch Nordgriechenland

Was kann man in vier Wochen Urlaub alles erleben? Welche Ziele ansteuern?­ Diana Richarz und Dirk Schäfer nahmen die Zeit gelassen und erlebten den griechischen Zauber jenseits von Inseln, Ouzo und Sirtaki. Völlig relaxt.


Eine schmale Piste führt zur historischen Steinbrücke von Viniani

Es war einer dieser Tipps, die man auf Reisen öfter erhält. Da und da sei es gaaanz toll! Da müsst ihr unbedingt hin! Die Erfahrung lehrt, dass das Paradies für den einen das eher zu Vermeidende für den anderen ist. Natürlich lässt man die Tippgeber höflich ausreden, entscheidet sich aber schlussendlich für ganz andere Ziele. Aber diesmal müssen wir eine Ausnahme machen, denn Sebastian hätte dick auftragen können, als er vom Traumstrand auf Chalkidiki sprach. Tat er aber nicht. Meinte nur, dass die Piste dorthin nur auf den letzten 200 Metern wirklich anspruchsvoll sei. Und das sei auch der Grund, warum dort praktisch niemand hinkäme. Außer eben er mit seinem Expeditions-Landcruiser. Und vielleicht Diana auf der XT und ich mit der Ténéré. Wenn wir denn so weit nach Osten führen.

Wellen plätschern über die prallweißen Kieselsteine am Strand von Elia. Die Sonne geht auf und schickt eine leichte Brise durchs Zelt. Ich bin allein. Wo ist Diana? Ich luge aus dem Zelt und sehe, wie sie sich das nasse Haar aus den Augen streicht. Frühschwimmen. Glitzernde Wassertropfen perlen von ihrer Haut herab wie die Zeitlupe eines warmen Sommerregens. Was für einen Grund könnte es geben, dieses Paradies zu verlassen? Die Backofentemperaturen zur Mittagszeit zum Beispiel. Also nichts wie los in die Berge!


Von der mittleren Halbinsel von Chalkidiki sieht man bis in die Mönchsrepublik Athos

Das schmale Band des Voidomatis hat sich tief in die Erdkruste gegraben

Auch wenn Hellas vor allem für seine Strände und Inseln bekannt ist: An Bergen mangelt es nicht. Allein 60 Zweitausender recken sich in den griechischen Himmel. Und die Straßen durch das Berggewirr scheinen ausschließlich für uns da zu sein. So wie die zur Vikos-Schlucht. Wir zirkeln die Yamahas durch eine Felslandschaft, in der sich Felsplatten wie Pfannkuchen übereinander stapeln. Bis der plötzliche Abbruch zur Schlucht dem ein eindrückliches Ende macht. Das schmale Band des Voidomatis hat sich tief in die Erdkruste gegraben und macht dem schillernd-türkisen Verdon in Frankreich Konkurrenz.


Surfen auf Euböas Küstenstraße

Gerade haben wir die fulminante Aussicht in die Vikos-Schlucht verdaut, als wir lernen müssen, dass es hier eine Art Regenzeit gibt. Ab jetzt geht täglich kurz nach Mittag die Welt in triefenden Schauern unter. Zwei Stunden später grinst uns die Sonne wieder ins Visier. Das Grinsen können wir erwidern. Nicht nur wegen der Sonne, sondern wegen der folgenden Kilometer durch das Pindos-Gebirge. 150 Kilometer lang Kurve an Kurve. Wenn irgendeine Region das Wort Kurvenparadies für sich reklamiert, muss sie sich mit dieser Route von der Vikosschlucht nach Meteora messen. Vier Stunden später sind wir komplett durch, das Konzentrationsniveau schleift auf Grund. Wir brauchen dringend eine Pause von der Euphorie.

Eine Farbenpracht flutet auf uns ein

Die vor uns liegenden Felszähne kommen genau zum richtigen Zeitpunkt. Den Namen der Felsen, an denen die Zeit nagt, kennt fast niemand. Den der Bauten auf ihren schmalen Plateaus schon: Die Meteora-Klöster. Ich war schon öfter hier und habe immer die epische Kulisse genossen. In die Klöster hinein ging ich aber nie. Jetzt ist es an der Zeit, sich die Kostbarkeiten der Klöster, die immerhin Weltkulturerbe sind, näher anzusehen.


Immer einen Besuch wert: Die Meteora-Klöster

Sofort nach dem Betreten der Klöster flutet eine Farbenpracht auf uns ein. Heiligenstories sind comicgleich aber kunstvoll und farbintensiv auf meterlange Wände gemalt. Die dominierenden Farben: Blau und Rot. Das Blau bestimmt den Hintergrund. Das Rot gehört zum Blut der Märtyrer. Die hatten es zu ihrer Zeit schwer. Ständig musste sich jemand den Kopf abschlagen lassen, um den Status als künftiger Heiliger zu erwerben. Ein aufreibender Job, der ziemlich aus der Mode gekommen ist. Heute wird man nicht so leicht heilig, dafür sind die Lebensumstände passabler. Aber ich schweife ab. Diana merkt das sofort. Und erinnert an den Landcruiser-Sebastian-Tipp.


Erfrischend: Der Hiliadou­-Wasserfall

Nach drei Vierteln des Wegs kommen wir ins Grübeln

Die drei Finger Chalkidikis greifen weit in die Ägais. Die Halbinseln sind was für Strandurlauber. Also nichts für uns. Aber einen Tag an einem Strand, einem Traumstrand kann man sich geben. Sebastians Wegbeschreibung war ganz einfach: Auf dem mittleren Finger Chalkidikis bis zum südlichsten Punkt fahren. Und fertig. ein paar Kilometer offroad eingeschlossen. Aber nach drei Vierteln des Wegs kommen wir das erste Mal ins Grübeln. Das wird aber ganz schön steil! Doch die Lust auf den in greifbare Nähe gerückten Traumstrand überwiegt das flaue Gefühl. Bis zum nächsten Zwangsstopp. Das ist ja noch steiler! Aber da unten ist er, der Sebastian-Traumstrand. Mehr noch: eine kurze Halbinsel mit zwei sich im Abstand von zwei Volleyballfeldern gegenüberliegenden Stränden. Wirklich super! Aber: Fahren wir da wirklich runter?


Gutmütige Piste am Cap Sarakiniko

Es ist diese Stelle, an der ich einen neuen Begriff lerne: Relief-Energie. Das hat nichts mit Esoterik zu tun, sondern flapsig gesagt mit Steigung oder Gefälle. Anders als bei den beiden klassischen Begriffen sagt mir der Wortbestandteil »Energie«, dass damit auch »Autsch!« verbunden sein kann. Und wer will sich freiwillig wehtun? Wie vor der Durchquerung einer isländischen Furt inspizieren wir die Downhill-Strecke zu Fuß. Runterfahren könnte klappen. Irgendwie. Aber wieder hoch? Fast aus dem Stand müssten wir den völlig zerfahrenen steinigen Anstieg bewältigen. Könnte an einem guten Tag mit Glück auch klappen. Aber mal unter uns: Sind wir auf Rallye oder auf Urlaub? Eine halbe Stunde später ist das Zelt oberhalb des Doppelstrands aufgebaut. Mit dem Sonnenuntergang schwappt das Ägäisblau am Doppelstrand ins Ozeanblau des Himmels. Danke, Sebastian!

Der Cappucino Freddo bringt uns wieder auf die Beine

Ein Wolkenfetzen wie eine weiße Baskenmütze ist unser Orientierungspunkt. Er bewegt sich nicht von der Stelle. Sollte er es dennoch tun, würde ihn die Sommersonne einfach wegschmelzen. So aber klemmt er am fast 3000 Meter hohen Gipfel des Olymp fest und macht auf den kommenden 250 Kilometern das GPS überflüssig. Aber die Orientierung ist ohnehin nicht schwer. Solange das Meer links ist, cruisen wir nach Süden. Erst am Hafen von Volos wird eine Entscheidung fällig. Links auf die Halbinsel oder rechts Richtung Athen. Keine Frage. Links!


Schluchtquerung an der Kokkorou­Brücke

Eine Schotterpiste bahnt sich ihren Weg durch dichte Olivenhaine. Diana treibt die XT wedelnd den Berg hinauf, versucht ebenso wie ich, dem Autsch der Reliefenergie auszuweichen. Mit nur einem Autsch rollen wir zwischen den roten Dächern von Drakia, einem kleinen Dorf in den Bergen der Pilio-Halbinsel, ein. Kaffeezeit! Unter einer gewaltigen Platane duckt sich das Kafenio von Vassilis. Der dunkelbärtige Hühne studiert eigentlich E-Technik in Athen, ist aber in den vorlesungsfreien Sommermonaten immer hier und serviert einen der besten Cappucino Freddo Griechenlands. Der eisgekühlte Kaffee-Milchmix bringt uns erst wieder auf die Beine und dann auf die Räder. Wohin? Die Pilio-Halbinsel ist noch lang.


Perfekter Cappuccino Freddo in der Taverne Metaxogeni in Drakia

Natürlich ist eine Halbinsel eine Sackgasse. Aber viele Sackgassen lohnen sich. So wie diese hier. Am südlichen Ende schwappen Fischerboote vor der Mole von Agia Kyriaki. Tintenfische trocknen in der Sonne. Frischgefangene Brassen werden in die Küchen der kleinen Lokale gebracht. Kinderlachen hallt von jahrhundertealten Pflastersteinen wieder. Zwischen den sonnenweißen Wänden der kubischen Häuser zwinkert das Meer. Jenseits des Wassers kann man schon die Berge von Euböa, Griechenlands zweitgrößter Insel, erkennen. Dahin fahren wir morgen. Vielleicht. Oder übermorgen. Wir haben noch Zeit im Gepäck. Sind wir überhaupt noch in der Zeit? In unserer Zeit? Oder schon außerhalb?

Die Yamahas knistern sich die Hitze des Tages aus den Rippen. Das Zelt steht nah am Wasser. Warmer Wind streicht wie ein alter Freund durchs Gesicht. Die blaue Stunde schmiegt sich über den Horizont, und der lärmende Rhythmus der Wellen verebbt zu einem leisen Rauschen. Die Erde atmet aus.

Anreise

Zwei Anreisevarianten stehen zur Wahl: Über Land durch den Balkan oder per Fähre von Italien. Auf dem Landweg sind ab München knapp 1900 Kilometer bis zum Startpunkt Igoumenitsa abzuspulen. Per Fähre geht es von den Häfen Venedig (ab München ca. 500 km), Ancona (770 km), Bari (1200 km) und Brindisi (1330 km) bequemer dort hin. Ab Venedig kostet die günstigste Überfahrt pro Person mit Motorrad 140 Euro, ab Ancona 108 Euro. Mehr unter www.superfast.com oder www.minoan.gr.

Reisezeit

Vom Spätherbst bis ins frühe Frühjahr muss in Nordgriechenland mit reichlich Regen und in den höheren Lagen sogar mit Schnee gerechnet werden. Perfekt sind das späte Frühjahr und der frühe Herbst. Wir waren im Hochsommer unterwegs. In den Küstenniederungen pendeln die Temperaturen um die 35°C. Erfrischende Abkühlung versprechen die Bergregionen.

Die Strecke

Griechenlands Hauptverkehrsnetz ist in relativ gutem Zustand. Auf Nebenstrecken müssen Abstriche gemacht werden. Es gibt zudem ein weit verzweigtes Netz an Schotterstrecken. Das griechische Inland ist sehr gebirgig, die Strecken sind daher oft sehr kurvig. Bei der Routenkalkulation sollte man das berücksichtigen.

Unterkünfte

Viele Campingplätze und kleine Hotels machen den Reiz einer Reise durch Griechenland aus. Besonders charmant fanden wir die Übernachtungen im Gästehaus Tritoxo in Kokouli am Südende der Vikosschlucht. DZ ab 65 Euro, www.tritoxo.gr/en

In Delphi hat man vom Campingplatz Apollon einen herrlichen Blick auf den Golf von Korinth. Stellplatz ab 20 Euro, www.apolloncamping.gr

Aktivitäten

Von den vielen Sehenswürdigkeiten Griechenlands gefielen uns der historische Komplex in Delphi und die Meteora-Klöster am besten. Wie so häufig empfiehlt sich der Besuch früh morgens, um das Ambiente in Ruhe genießen zu können.

Unter Naturfreunden genießt der Olymp hohen Stellenwert. Ihn zu besteigen, ist einen Versuch wert aber kein Klacks. In der Gipfelregion muss mit Steinschlag und schnell umschlagendem Wetter gerechnet werden.

ACT Greece

Eine großartige Möglichkeit, Griechenland auf einsamen Pfaden zu erleben, bietet der Adventure Country Track Greece. Die sorgfältig gescoutete Strecke meidet Hauptverkehrsstrecken und führt mit einem Anteil an unbefestigten Strecken von rund 30 Prozent durch die schönsten Regionen des Landes. Infos unter https://adventurecountrytracks.com



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