Windumtost liegen die Azoren mitten im Atlantik. Spektakuläre Strecken, einzigartige Landschaften und eine entspannte Atmosphäre machen die Inselgruppe zu einem außergewöhnlichen Reiseziel für Motorradfahrer.
Wie wohl tausende andere Motorradbegeisterte hatte ich Charley Boorman im Laufe der Jahre gelegentlich auf Motorradmessen und Veranstaltungen getroffen. Doch natürlich kannten wir uns dadurch nicht wirklich. Es war also ein Traum, der wahr wurde, als Touratech mich und Charley zusammenbrachte, um die Azoren mit Motorrädern zu erkunden. Endlich konnte ich mit dem Menschen, der so unglaublich viel für die Adventure-Szene getan hatte, gemeinsam auf Tour gehen.
Es war eine surreale Erfahrung, als ich zum ersten Mal Charleys Stimme in meinem Kopfhörer hörte. Sie klang so vertraut, eine Stimme, die ich in den letzten 20 Jahren Hunderte von Malen gehört habe, wenn ich seine Fernsehsendungen ansah. Wir plaudern einfach drauflos, während ich ihm auf den engen Straßen der Stadt Ponta Delgada in Richtung Nordküste folge.
Hain aus hoch aufragenden Bäumen mit einer geheimnisvollen orangefarbenen Rinde.
DAS „HAWAII EUROPAS“
Man nennt die Azoren das »Hawaii Europas«, aber in Wirklichkeit ist das Klima der Inselgruppe gemäßigter als jenes von Hawaii, mit einer durchschnittlichen Temperatur zwischen nicht einmal 16 Grad im Winter und warmen 21 Grad im Sommer. Dafür sind die Niederschläge ähnlich hoch, und das üppige Grün erinnert tatsächlich an Hawaii. Auch an Wind mangelt es nicht!
Atemberaubender Blick auf den Atlantik an der Nordküste bei Ponta Delgada.
Unsere Reise findet in der zweiten Märzwoche statt, und Mutter Natur erinnert uns eindrucksvoll daran, dass es auf den Inseln recht ungemütlich werden kann. Zu unserem Glück haben wir die allerneueste Fahrerausstattung von Touratech dabei, die perfekt für eine wilde Fahrt mit unvorhersehbarem und extremem Wetter geeignet ist. Charlie trägt den Compañero Worldtrack, und ich trage den Compañero Rambler 2. Auch bei Temperaturen um die plus vier Grad Celsius und starkem Regen herrscht in den Anzügen ein angenehmes Klima.
Charley bei Schlammspielen mit seiner BMW R 1300 GS Adventure.
CHARLEYS GS VERLIERT DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM GERÖLL
Die Straßen sind eine perfekte Kombination aus kurvenreichen Wegen durch atemberaubende, üppig grüne Landschaften. Immer wieder bieten sich uns Blicke auf das tiefblaue Meer mit schäumenden weißen Wellen, die an schwarze Vulkanfelsen donnern. Abseits der Küste schlängeln wir uns auf abgelegenen Schotterstraßen und Feldwegen durch Waldreservate bis hinauf auf die höchsten Berggipfel.
Die Insel Saõ Miguel ist nichts weiter als ein riesiger, aktiver Vulkan, und das Terrain ist eine direkte Folge davon. Der schwarze und rötliche Schotter ist vulkanischen Ursprungs und bietet in der Regel eine vertrauenerweckende Traktion. An einigen Stellen hat der Schotter jedoch Korngrößen, die in Richtung Golfball gehen. Charleys R 1300 GS Adventure verliert in einer Kurve eine Auseinandersetzung mit dem Geröll. Doch die Sturzbügel tun ihre Arbeit, und wir können nach einer Schrecksekunde weiterfahren.
Wir arbeiten uns durch das Schlammchaos auf den Nebenstrecken.
Auf der Insel gibt es auch platt planierte Schotterpisten aus Vulkanasche, die riesigen Spaß machen – allerdings nur solange, bis sie nass werden. Wenn eine Windböe wie aus dem Nichts am Lenker reißt, was hier oft der Fall ist, spürt man, wie glitschig der Untergrund ist. Es fühlt sich an, als würde man auf einer gefetteten Pfanne fahren. Eine flache Spurrille, die ich übersehen habe, bringt mich vom richtigen Kurs ab, und ich gerate auf Kollisionskurs mit einer Felswand. Ich kann die Maschine nicht mehr rechtzeitig abfangen und knalle mit Bike und Helm gegen eine Wand aus schwarzem Vulkangestein. Mein Aventuro Carbon Pro schützt mich, ich bin nicht verletzt. Doch der „Tower“, der die Windschutzscheibe und das Kombiinstrument trägt, ist gebrochen. Wir holen das Werkzeugset heraus und stabilisieren die Halterung mit Kabelbindern und Draht, so dass wir die Fahrt vorsichtig fortsetzen können.
Unzählige Wasserfälle auf der ganzen Insel laden zum Staunen ein.
AM FUSSE DER SENKRECHTEN WAND PLÄTSCHERT SMARAGDGRÜNES WASSER
Auf der rauen Schotterstraße, die einem Bergrücken folgt und Sete Cidades, die berühmteste Caldera der Insel, umrundet, bieten sich uns einmalige Ausblicke. Zu unserer Rechten haben wir einen atemberaubenden Blick auf den Atlantischen Ozean mit seinen windgepeitschten Wellen und der meterhoch fliegenden Gischt. Zu unserer Linken befindet sich ein fast senkrechter Abhang mit kurzer grüner Vegetation, die mit ihrer gewellten Struktur fast wie ein geriffelter Kartoffelchip aussieht. Am Fuße der grünen Wand befinden sich die smaragdgrünen Gewässer der Lagoa Azul (Blauer See) und der Lagoa Verde (Grüner See). Dies ist der Ort, den man auf den Reise-Websites sieht, und wir können verstehen, warum. Die dramatische Landschaft ist überwältigend, wenn man sie mit eigenen Augen sieht. Die Caldera ist das Ergebnis einer eingestürzten Magma-Kammer aus der geologischen Vergangenheit.
Hat gut Lachen: Der Compañero hält Charley warm und trocken.
Es gibt mehrere Calderen auf der Insel, aber diese hier ist aufgrund ihrer enormen Größe und der Tatsache, dass sie auf drei Seiten perfekt vom Meer umrahmt wird, besonders beeindruckend. Wir treffen uns mit einem lokalen Geologen, der die Vulkane der Azoren seit fast 40 Jahren erforscht. Als wir mit ihm hoch oben auf einem Aussichtspunkt am Pico do Ferro stehen, zeigt er auf mehrere Calderen und erklärt, wie die Landschaften und geothermischen Prozesse im Laufe der Zeit durch vulkanische Aktivität geformt wurden. Er erklärt, dass das Erdbeben, von dem wir neulich morgens aufgewacht sind, eine Stärke von 5,2 hatte und etwa 30 Kilometer von unserem Standort entfernt war. Erdbeben werden hier sehr ernst genommen, da es in der Vergangenheit bereits zu Tragödien kam. Die bemerkenswerteste davon ereignete sich im Jahr 1522, als die von einem Erdbeben hervorgerufene Schlammlawine schätzungsweise 5.000 Einwohner unter sich begrub. Wir verabschieden uns mit einem mulmigen Gefühl, denn der Geologe erinnert uns daran, dass wir uns auf einem aktiven Vulkan befinden, der jederzeit ausbrechen kann.
Lebendige Geologie: Die ganze Insel ist ein aktiver Vulkan.
BESCHAULICHES LANDLEBEN
Auf Saõ Miguel gibt es zahlreiche verschlafene Dörfer am Meer. Die Häuser haben weiß gekalkte Wände und rote Ziegeldächer. Als wir gemächlich durch die Weiler rollen, können wir die Ruhe förmlich spüren. Die Zeit scheint hier stillzustehen. Inselleben in Reinkultur. Die Einheimischen sind entspannt und haben eine sanfte Ausstrahlung. Genau wie die Milchkühe, die sie versorgen.
Der Autor lauscht den Geschichten der Teeladenbesitzerin.
Selbst in der Hauptstadt Ponta Delgada geht es gemächlich zu. Die Menschen, mit denen wir zu tun haben, sind angenehm und freundlich. Man fühlt sich sehr sicher und willkommen. Die kulinarischen Genüsse der Azoren werden auch den anspruchsvollsten Gaumen erfreuen. Dank der bis heute praktizierten Fischerei sind die Meeresfrüchte so frisch, wie sie nur sein können, der Käse ist preisgekrönt, und das Fleisch des seit 500 Jahren auf den Azoren heimischen Ramo Grande-Rinds setzt einen Höhepunkt unserer kulinarischen Erfahrung.
Nach einer beschwerlichen Abfahrt vom Leuchtturm von Arnel erreichen wir diesen perfekten »Parkplatz« am Meer.
Wir sehen mehr Milchkühe als Menschen, als wir die Insel erkunden. Außerhalb des Hauptortes Ponta Delgada tragen die meisten Männer kniehohe Gummistiefel. Ein klares Zeichen dafür, dass sie auf den nassen und schlammigen Weiden eines Milchviehbetriebs arbeiten. Die meisten Höfe sind kleine Familienbetriebe mit 20 bis 100 Holstein-Friesian Milchkühen. Wir sehen keine großen Ställe, da die meisten Kühe mit mobilen Maschinen gemolken werden, die es den Tieren ermöglichen, draußen auf den Weiden zu bleiben. Die Kühe werden fast ausschließlich auf der Weide gefüttert, was in den meisten Teilen der Welt nicht üblich ist. Die Lebensqualität der Kühe ist für die Verhältnisse in der Milchviehhaltung recht gut. Weideflächen machen etwa 40 Prozent der Fläche von Saõ Miguel aus.
Die Berge von Saõ Miguel bieten unglaublich schöne Waldwege, auf denen kaum andere Menschen unterwegs sind.
Wir sehen atemberaubende Grundstücke am Meer mit Ausblicken, wo man in einem anderen Teil der Welt Luxuswohnungen oder Golfplätze erwarten würde. Hier sind die herrlichsten Landschaften mit Meerblick nicht für die Reichen und Berühmten bestimmt. Sie sind für die schwarz-weiß gefleckten Milchkühe reserviert. Diese sanften Riesen leben im idyllischen Kuhparadies und sind das Herz und die Seele von Saõ Miguel.
Gar nicht so selten: Wasserdurchfahrten mit ordentlich Strömung.
VIER JAHRESZEITEN IN EINER STUNDE
Die Insel ist ganz der Wildheit des Atlantiks ausgesetzt, und in dieser Woche tobt ein Sturm. Wir fahren durch Regenschauer, die von orkanartigen Winden angetrieben werden. Wir kämpfen gegen den Wind, während wir auf einer schmalen, unbefestigten, zweispurigen Straße hinauf zum Aussichtspunkt am Pico da Cruz fahren. Wir stellen die Motorräder ab und lehnen uns mit ausgestreckten Armen gegen den Wind, während die Böen das Gewicht unserer Körper tragen. Als wir zu unseren Motorrädern zurückkehren, stellen wir schockiert fest, dass der Wind sie unsanft zu Boden gebracht hat.
Bei den nassen Bedingungen gab es viele Gelegenheiten für Teamwork.
Als wir kurze Zeit später um eine Ecke biegen, finden wir einen anderen Motorradfahrer in Not. Er winkt wild, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen, während er mit seinem Motorrad auf dem Boden liegt. Ich gehe in die Hocke, packe das Hinterrad mit beiden Händen und hebe das Heck seines Motorrads an, um sein rechtes Bein zu befreien, das unter der Schwinge eingeklemmt war. Er erzählt mir, dass er von einer Windböe umgeweht wurde und seit einigen Minuten hilflos daliegt.
Wir erleben unglaubliche Gegensätze auf den Azoren. Während uns auf den hochgelegenen Aussichtspunkten bei knapp fünf Grad Celsius ein eisiger Wind um die Ohren bläst, essen wir nur eine halbe Stunde später bei herrlichem Sonnenschein in einem malerischen Küstendorf in der Sonne zu Mittag. Charley bringt es auf den Punkt, als er feststellt, dass wir auf den Azoren in einer Stunde vier Jahreszeiten erleben. Obwohl wir nicht das typische milde Wetter genießen konnten, haben wir die Kraft des Atlantischen Ozeans voll ausgekostet und die wilde Seite der Azoren erlebt. Wir fühlten uns dort lebendig und werden die intensiven Eindrücke so schnell nicht vergessen. Was das Fahren mit Charley angeht, so ist er persönlich genau derselbe Typ, der er im Fernsehen ist. Ich habe seine Schlagfertigkeit, seinen britischen Humor und seine Lust am Entdecken auf zwei Rädern sehr genossen.
CHARLEY BOORMAN
Es gibt nur wenige Menschen, die die Motorradreiseszene so stark beeinflusst haben wie Charley Boorman. Die Fernsehserie, die er vor etwa 20 Jahren zusammen mit Ewan McGregor ins Leben rief, trug wesentlich dazu bei, die bis dahin weitgehend unbekannte Nische der Motorradabenteuerreisen in das Bewusstsein des Mainstreams zu rücken. Ihre Geschichten über die Weltumrundung in der Serie Long Way Round waren ein großer Erfolg und wurden von Millionen von Zuschauern gesehen.
Es folgten weitere Fernsehserien unter dem Titel Long Way, darunter auch die aktuelle Serie Long Way Home, in der die beiden mit ihren Motorrädern von McGregors Heimat in Schottland zu Boormans Heimat in England fahren und dabei eine 10.000-Meilen-Schleife durch Skandinavien und bis zum Polarkreis zurücklegen, bevor sie sich nach Ost- und Mitteleuropa wagen. Diese 10-teilige Serie wird auf Apple TV verfügbar sein. Charley Boorman ist Touratech Markenbotschafter.
Smalltalk auf einem der zahlreichen Piers.
PAUL GUILLIEN
Paul Guillien ist CEO von Touratech USA und ein bekanntes Gesicht in der US-amerikanischen Adventure-Bike-Szene. Paul hat maßgeblich dazu beigetragen, die Touratech-Rallye über die letzten eineinhalb Jahrzehnte zum größten Treffen von Adventure Ridern in den USA zu machen. Das Event bietet unglaubliche Fahrmöglichkeiten, Wissensaustausch und Unterhaltung rund um das Unterwegssein mit dem Motorrad. Paul ist auch Mitbegründer der Backcountry Discovery Routes (BDR), die abenteuerliche Routen durch das Hinterland zahlreicher US-Bundesstaaten für Reiseenduristen erschließen.
REISEINFORMATION
ALLGEMEIN
Die Azoren sind eine aus neun Inseln bestehende Inselgruppe mitten im Atlantischen Ozean, die ein autonomes Gebiet Portugals darstellt. Die Azoren liegen 1.400 Kilometer westlich von Lissabon und gut 1.900 Kilometer südöstlich von Neufundland. Das Klima auf den Inseln ist das ganze Jahr über mild. Die Tageshöchsttemperaturen schwanken je nach Jahreszeit zwischen 16° und 25° C.
Die wichtigsten Wirtschaftszweige sind Ackerbau, Milchwirtschaft, Viehzucht, Fischerei und Tourismus. Die Inseln sind vulkanischen Ursprungs und liegen am Schnittpunkt von drei der wichtigsten tektonischen Platten der Erde. Die Inseln verfügen über dramatische Küstenlandschaften und atemberaubende, teilweise noch aktive Vulkane. Die Vegetation ist üppig und grün, und das Wetter ist meist feucht und bewölkt. Wenn die Sonne aus den Wolken hervorkommt, sind die Farben der Inseln und ihrer Gewässer atemberaubend.
ANREISE
Große europäische Städte wie London, Paris, Frankfurt, Barcelona und Amsterdam bieten Direktflüge auf die Azoren an. Aus den USA gibt es Direktflüge von Boston, New York und Oakland. Zwar verfügt jede Insel über einen Flughafen für Reisen zwischen den Inseln, aber die einzigen Flughäfen, die eine Verbindung zur Außenwelt haben, sind João Paulo II (auf der Insel São Miguel), gefolgt vom Flughafen Lajes (Insel Terceira) und dem Flughafen Horta (Insel Faial). Zwischen einigen der Inseln verkehren saisonale Fähren, aber nicht zwischen allen. Wir blieben für unser Abenteuer auf São Miguel.
Malerische Barockkirche.
MOTORRADFAHREN
Auf Saõ Miguel kann man sowohl Autos als auch Motorräder mieten. Eigene Motorräder können mit Spediteuren nach Saõ Miguel verschifft werden. Touratech Portugal organisiert Adventure-Rallye-Veranstaltungen auf der Insel, die sowohl Unterkünfte als auch die Verschiffung von Motorrädern (ab Lissabon) sowie organisierte Fahrten und eine unglaubliche Inselküche beinhalten.
VERPFLEGUNG
Es wird schwerfallen, einen Ort zu finden, an dem die Meeresfrüchte frischer und köstlicher sind. Der Reichtum des Meeres dominiert die meisten Speisekarten der Restaurants. Die florierende Molkereiindustrie produziert preisgekrönten Käse, eine weitere Delikatesse sind die unglaublichen Steaks vom einheimischen Ramo-Grande-Rind. Die Region ist auch für den Anbau von Ananas, Orangen, Bananen, Taro und Süßkartoffeln bekannt. Bars, Restaurants und Cafés gibt es in Hülle und Fülle. Auch ein Hotel zu finden, ist nicht schwierig.
Text: Paul Guillien, Fotos: Mathias Wolpert