Tour de France - Teil 4: Coast to Coast - Die Pyrenäen vom Mittelmeer zum Atlantik

Tour de France - Teil 4: Coast to Coast - Die Pyrenäen vom Mittelmeer zum Atlantik

Die Pyrenäen sind eine rund 430 km lange Gebirgskette. Sie trennt die Iberische Halbinsel im Süden vom übrigen Europa im Norden und liegt zwischen dem Atlantischen Ozean im Westen und dem Mittelmeer im Osten. Diese Gebirgslandschaft ist viel rauer und zerklüfteter als die Alpen und eignet sich daher für eine Motorradtour mit viel Offroad-Anteil bestens. Man muss schon ein wahrer ZEN-Meister im Kilometerfressen sein, um bis Perpignan, dem Ausgangsort dieses Teilabschnittes meiner Tour de France zu fahren. Für die Anfahrt von Nizza und Cannes, meinen letzten Standorten an der Cote d’Azur bis an die französischen Mittelmeer-Pyrenäen fallen knapp 500 Kilometer an – dann steht einem jedoch der Höhenzug der Pyrenäen zwischen Frankreich und Spanien, vom Atlantik zum Mittelmeer zur Verfügung. Das Gebiet wird zwar von drei Staaten: Frankreich, Spanien und Andorra geteilt, allerdings erheben zwei weitere Volksgruppen den Anspruch, als eigenständige Nationen angesehen zu werden: die Basken im Westen, die grenzübergreifend an der Atlantikküste ihre Sprache, baskisch, pflegen und die Katalanen im Osten, deren Stammgebiet im spanischen Teil der Pyrenäen am Mittelmeer liegt. Dort hat katalanisch in den letzten Jahren sogar das spanische verdrängt und ist mittlerweile Sprache Nummer 1.

Die Idee ist, die französischen Pyrenäen vom Mittelmeer in Richtung Atlantik zu traversieren. Hierbei wollte ich zum einen auf den Spuren der Tour de France über den Col du Tourmalet sowie dem Col d‘Aubisque, durch die Weinberge der Corbière, mit den Pilgern entlang des Jakobswegs, zu den einsamen spanischen Pyrenäen-Höhenzügen bis hinauf in die Bergwelt und den alten Schmugglerpfaden von Andorra gelangen. Aufgrund der Corona-Pandemie mache ich jedoch um Andorra, um Nordspanien – und vor allem den Hotspots Bayonne und Biarritz im Baskenland einen großen Bogen.
Obwohl sich zwei Drittel der Pyrenäen auf spanischer Seite befinden, liegt die deutliche Mehrzahl der befestigten Pässe doch auf französischer Seite. Dies liegt nicht etwa ausschließlich an der stärkeren Besiedelung und dem daraus resultierenden höheren wirtschaftlichen Interesse in Frankreich, sondern maßgeblich an der Tatsache, dass die Pyrenäen nach Norden relativ schroff und steil in Richtung Frankreich abfallen, während der Übergang zur Ebene des Ebro auf spanischer Seite allmählich geschieht. Gerade schmale Passstraßen auf der französischen Seite beeindrucken häufig durch sehr rauen Belag. Der Grip bei kurvenreichen Passauffahrten ist maximal, was die Schräglage positiv beeinflusst. Wo auch immer man in den Pyrenäen ist, man findet unterschiedlich reizvolle Pässe vor. Ob man nun die niedrigeren Pässe in den Randlagen fahren will oder die zentralen Klassiker, das Motorradfahrerherz schlägt höher. Und das nicht zuletzt wegen der vielen kurvenreichen Rampen, die in der Regel steiler sind als die der Alpen.
Aber der Reihe nach. In Perpignan erfreue ich mich an den vielen interessanten Ecken und Winkeln dieser Stadt. Perpignan ist idyllisch in der Nähe der Mittelmeerküste und der Grenze zu Spanien gelegen.

Im 13. Jahrhundert war sie die Hauptstadt des Königreichs Mallorca und in ihrem mittelalterlichen Stadtkern ist ein deutlicher katalanischer Einfluss erkennbar. Der riesige Palast der Könige von Mallorca im gotischen und romanischen Stil liegt südlich der Altstadt und verfügt über Festungsmauern mit Aussicht auf die Küste. Von hier erkunde ich am nächsten das Hinterland sowie die nie enden wollenden kleinsten Sträßchen und Trails direkt an der Küste. Alex Schönborn von der Firma Touratech hatte mir vor der Abfahrt in Villingen den dringenden Tipp gebeten, die sogenannte Cote Fermée zu erkunden, und sollte unbedingt Recht behalten. Diese Gegend ist ein Kurvenparadies par excellence.
Wie das Land, so die Weine: kraftvoll, mit Charakter und tausendjähriger Tradition. Egal in welcher Farbe sich ein Côtes du Roussillon auch präsentiert, als Roter, Rosé oder Weißer, er macht seiner Heimat alle Ehre. Das Roussillon als Weingebiet mit der hauptstadt Perpignan ist alleine schon eine Reise unter Weinkenner wert. Im südlichsten Teil von Frankreich gelegen und mit einer durchschnittlichen Sonnenscheindauer von 2600 Stunden im Jahr haben die Weinreben des
Roussillon optimale klimatische Bedingungen. Auf dem Weingut vom Château de l'Esparrou erfahre ich, wie ich den kostbaren Rebensaft vielleicht unbeschadet nach Deutschland transportieren kann. Ich soll die Flaschen einfach an den Stutzbügeln der BMW befestigen – da sei ja noch Platz… Naja – nicht jede Idee ist großartig. Auch der Vorschlag – ich könne ja gleich hier ein bisschen etwas trinken wird mit meiner freundlichen Ablehnung, dass es erst morgens 9.30 Uhr ist und ich ja schließlich noch Motorradfahrern wolle mit einem leichten und sarkastischen Kopfschütteln begegnet: „ Les allemend… toujour très correctes! (Die Deutschen – immer so korrekt).

Und das schönste Erlebnis habe ich an diesem Tag, an dem ich ein ganz besonderes Tal befahre. Es ist das VALLEE DE HEUREUSE – wörtlich übersetzt – das Tal der Glücklichen. Und in der Tat – ich bin seit Wochen glücklich mit dem Motorrad unterwegs sein zu können – darum passe ich sehr gut in dieses Tal.

Nach ausgiebigen Kurvenrausch beginnt dann die Trans-Pyrenäa. Groß und mächtig erscheint die Silhouette der Berge und das Bikerherz schlägt bereits schneller. Nicht weit von Perpignan möchte ich dann bei einem Straßenschild fast meinen Augen nicht glauben. Es gibt in den Pyrenäen tatsächlich
eine Ortschaft die heißt LATOUR DE FRANCE. Ob hier wohl die großartige Idee für den Radsport kreiert wurde, oder ob dieses Dorf die Wiege für die Idee meiner Motorradtour ist, wird wohl nicht geklärt. Kenner der französischen Sprache wissen wohl durchaus den Unterschied zwischen „LATOUR“ und „La Tour“ zu deuten. Trotzdem – mir macht der Name dieses kleinen und unscheinbaren Pyrenäen-Dorfes richtig Freude.

Gleich zu Beginn dieser ersten Tour steht ein erstes Offroad-Highlight an: Das Massif du Canigou. Der Pic du Canigou ist der östlichste markante Berggipfel der Pyrenäen. Er hat eine Höhe von 2785 m und galt lange als höchster Berg Kataloniens. Er gehört zum südfranzösischen Département Pyrénées-Orientales im Roussillon. Und hier ist es tatsächlich so, dass alle Pisten zum Offroad-Fahren einladen. Das gesamte Roussillon-Gebiet ist längst kein Geheimtipp mehr unter den Offroad-Enthusiasten, sondern ein gesetzter Hotspot in Mitteleuropa.
Am nächsten Tag beginnt die Fahrt dann früh. Ein großes Stück Strecke will gemeistert werden – und einige Pyrenäen-Pässe warten auf mich. Der erste ist der Col de Mantet und befindet sich in der Region Pyrénées Orientales. Für Straßenmaschinen und normale Reiseenduros ist er mit seiner Nordostrampe eine Sackgasse, die Ihren Reiz insbesondere im letzten Drittel vor der Scheitelhöhe hat. Enge Straßen, keine Absperrungen und einen Belag der sehr gut zu fahren ist. Am Col de Puymorens verlasse ich einmal mehr die asphaltierten Wege und fahre ein ganzes Stück offroad in Richtig Gipfel. Doch plötzlich ist gar kein Weg mehr sichtbar und ich fahre über große und weitläufige Wiesen in ein Tal. Fasziniert beobachte die Berge und merke gar nicht, dass sich eine Herde Pferde nähern. Das ist in den Pyrenäen nicht ungewöhnlich. Große Pferdeherden mit bis zu 50 Tieren werden im Frühsommer in die Berge gebracht und dann im Herbst wieder „eingesammelt“. Die Pferde verbringen in diesen Sommermonaten bestimmt einmalige Tage in den Bergen, die ihrem Wesen bestimmt sehr nahekommen. Plötzlich beginnt eines der Tiere los zu galoppieren. Die anderen machen es ihm gleich und galoppieren mit. Bis hier in ist die Szenerie ja sehr schön und durchaus romantisch. Das Bemerkenswerte ist, dass die Tiere alle auf mich los galoppieren. Waren die Tiere in einem Augenblick noch mehrere hundert Meter von mir entfernt, so nähern sich die Pferde mit großer Geschwindigkeit mir und meinem Motorrad in einer menschenleeren Bergwelt. Wenn ich jetzt sage, dass mich Panik ergreift, dann kommt das meinem Gemütszustand sehr nahe. Ich kenne mich ganz gut mit Kühen, Ochsen und Bullen aus – zumindest in der Theorie. Bei diesen Tieren sagt man, wenn ein Rindviech auf Dich zu gerannt kommt, bleibe stehen und mache dich ganz groß. Das Rindvieh wird dann wahrscheinlich stehen bleiben. Und wie ist das bei Pferden? Ich probiere dieselbe Taktik – und in der Tat, die Herde stürmt in relativ „großem“ Abstand von ca. 20 Metern an mir vorbei. Ich bin so perplex von dieser Situation, dass ich nur noch die Nachzügler vor die Linse meiner Kamera bekomme. Naja – immerhin erhalte ich so noch ein paar Erinnerungsfotos von dieser Situation.

Am nächsten Tag ist echtes „Pyrenäen-Wetter“. War es gestern noch sommerlich heiß mit bestem Sonnenschein, so hängen heute die Wolkenschwaden tief in den Tälern. Von Ax les Thermes geht meine Reise über Gorges D’Orlu zur Grotte de Niaux und Tarascon sur Ariège – Port de Lers – Col d’Agnes – Col de la Core – Col de Menté nach Bagnère de Luchon.

Diese Pässe kenne ich alle von früheren Reisen in den Pyrenäen – heute offenbaren sie sich in gespenstischem Nebellicht.
Die nächsten Tage stehen ganz im Zeichen der Tour-de-France-Klassiker: Der Col de Port ist dann auch der erste, den ich offroad unter die Reifen nehme. Der Weg schlängelt sich auf fast seiner kompletten Länge am Südhang des Massif de l’Arize entlang. Gerade die Westanfahrt des Passes bietet dem Offroad-Fahrer keine besonderen Schwierigkeiten. Dennoch ist der Col de Port ein idyllischer Pass, der einen Besuch lohnt, und sei es nur, um von seiner Westanfahrt aus einen der steilsten Wege der französischen Pyrenäen zu begutachten, nämlich das Sträßlein zum Col de Péguère. Man mag es kaum glauben, aber am Col de Port ist man auf radhistorischer Strecke unterwegs, denn er war am 19. Juli 1910 der erste Pyrenäenpass, der jemals während der Tour de France von den Teilnehmern überquert wurde.
Weiter geht dann die Fahrt Col de Tourmalet, der mit 2115 Metern über dem Meeresspiegel, der höchste asphaltierte Straßenpass der französischen Pyrenäen ist. Er liegt im Département Hautes-Pyrénées und verbindet Luz-Saint-Sauveur mit Campan. Der Col du Tourmalet verdankt seinen hohen Bekanntheitsgrad seiner zentralen Rolle in der Geschichte der Tour de France und der Tatsache, dass er auch in den gegenwärtigen Auflagen der Tour sehr häufig überquert wird. Dadurch wurde der Pass zu einem sehr beliebten Ziel für ambitionierte Freizeitradfahrer. Dort, wo das Abenteuer für andere Motoradfahrer auf dem Pass endet, beginnt es eigentlich erst für mich. Überragt wird der Tourmalet vom 2877 Meter hohen Pic du Midi du Bigorre. Aufgrund seiner Lage nördlich des Hauptkamms der Pyrenäen bietet sein Gipfel ein außergewöhnliches Panorama. Im Süden überblickt man die gesamte 300 km lange Kette der Pyrenäen mit mehr als 25 Dreitausendern. Nach Norden reicht der Blick an klaren Tagen bis zum Plomb du Cantal im Zentralmassiv und im Westen bis zum Leuchtturm von Biarritz. Insgesamt ist so ein Sechstel der Fläche Frankreichs zu überschauen. Früher gab es eine 5,5 km lange geschotterteRoute du Pic du Midi, die bis zur Passhöhe auf 2645 m Höhe führte. Heute ist sie für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Ich versuche mein Glück über die Skipiste und pflüge mit der WorldTravelEdition steile Passagen hinauf. Das Adrenalin quirlt durch meine Adern – der Puls ist maximal und die Aussicht von hier oben ist sehr beeindruckend.

Die französischen Pyrenäen verändern ab Luz St. Saveur dramatisch ihre Charakteristik. Aus den grünen Bergen entwickelt sich eine zerklüftete Bergwelt, die spätestens ab dem Felszikus vom Cirque de Troumouse, einem 180 Grad-Panorama-Kessel, wirklich einzigartig sind.
Nicht weit von hier befindet sich Lourdes, einer der weltweit meistbesuchten Wallfahrtsorte. Jedes Jahr pilgern viele hunderttausend Gläubige und interessierte Besucher hierher. Die Wallfahrt nach Lourdes begann mit einer Serie von insgesamt 18 Marienerscheinungen, in der Zeit vom 11. Februar bis zum 16. Juli 1858. Ich selbst bin erstaunt, welch gewaltige Kraft von diesem Ort ausgeht – auch wenn es eine große Industrie von Souvenir- und Kitsch-Artikeln gibt, so ist dieser Ort, nahe an der spanischen Grenze, doch in jedem Fall einen Aufenthalt auch für Nichtgläubige wert.

Als nächstes sind dann die höchsten Pyrenäenpässe mit fantastischen Weit- und Ausblicken an der Reihe: der Col de Soulon sowie Col d’Aubisque präsentieren sich bei Keiserwetter und offenbaren die gesamte Schönheit der Bergwelt.
Für mich ist der Col de Pourtalet der schönste Pyrenäen-Pass. Mehr Abwechslung bietet kein anderer Pass in den Pyrenäen! Auf den 56 km von Laruns (Frankreich) bis nach Biescas (Spanien) ist die Streckenführung einfach genial. Sanft und weit geschwungene Kurven werden von knackigen Kehren und winkligen Felspassagen abgelöst. Die Landschaft und die Ausblicke sind einmalig, insbesondere oberhalb der Baumgrenze ab ca. 1600 m.

Nun verändert sich die Landschaft ein weiteres Mal. Ich komme in das Baskenland. Diese Region an der Atlantikküste liegt genau auf der Grenze der Staaten Spanien und Frankreich. Das Baskenland ist benannt nach dem Volk der Basken (Eigenbezeichnung Euskaldunak), die mittlerweile auch wieder zu einem beträchtlichen Teil die baskische Sprache sprechen. Verwirrend, sicherlich nicht nur für mich als Motorradreisender, sind die doppelten Bezeichnungen der Städte und Ortschaften – einmal auf Französisch und einmal auf Baskisch.
Nun wechseln sich klangvolle Namen wie Lescun – Col d’Ichere – Col de Labays – Col de St. Martin – Isaba – Port de Larrau – Larrau – und Col Bagargi auf einer wunderbaren Fahrt in Richtung Bordeaux ab.



Touratech Copyright © 2022