Via all‘ avventura! - Süditalienreise | von Martin Leonhardt

Via all‘ avventura! - Süditalienreise | von Martin Leonhardt

Zwei Monate hat sich Martin Leonhardt Zeit gelassen, den Süden Italiens mit seinem Motorrad zu erkunden. Schmale Nebenstrecken führten ihn in abgelegene Bergdörfer, die Küste überraschte ihn mit überwältigenden Ausblicken, und immer wieder bereicherten Begegnungen mit den Einheimischen die abenteuerliche Reise.

Durch den Nationalpark Pollino führen abenteuerliche Strecken von Basilikata nach Kalabrien

»Alle Wege führen nach Rom«, hieß es zu Zeiten des Römischen Reiches. Damals muss das Straßennetz deutlich übersichtlicher gewesen sein, denn dieser Tage muss ich dem GPS der Tiger 900 schon etwas genauere Angaben machen, um beim Weg in die italienische Metropole nicht in die Irre zu gehen.

Ohne großen Besucherrummel spaziere ich durch die pompösen Gassen der Stadt, besuche natürlich das Kolosseum, die Sixtinische Kapelle, den Vatikan und überhaupt eine Unzahl von Kirchen. Der prunkvolle Petersdom verschlägt mir regelrecht die Sprache. Insbesondere die Besteigung, der von Michelangelo entworfenen Kuppel, ist ein absolutes Highlight.

Aus knapp 130 Metern Höhe blicke ich dem Horizont entgegen und frage mich, welche Erlebnisse wohl vor mir liegen.

Wie immer reise ich ohne detaillierte Pläne, will Überraschungen ihren Raum lassen. Genau deswegen beschleicht mich die Vorahnung, dass vielleicht nicht alle Wege nach Rom führen, aber ganz sicherlich in ein neues Motorradabenteuer.

Das alte Craco wurde von Erdrutschen zerstört. Als Kulturdenkmal schmückt es jedoch noch immer die halbwüstenartige Landschaft

Um der Millionenstadt schnell zu entfliehen fahre ich den Monti Lucretili entgegen. Nach nur wenigen Kilometern schlängeln sich beste Landstraßen durch dichte Wälder. Es tut gut, wieder die drei Zylinder der Triumph zu spüren. Schnell ist auch der Entschluss gefasst, dass ich nach einer Woche in einem stickigen Hotelzimmer mein Nachtlager wieder im Freien aufschlage. Im letzten Licht des Tages blicke ich wenig später über eine von bunten Blumen geschmückte Wiese hinunter in ein naturbelassenes Tal.

Ruhe kehrt ein, die klare Nacht zaubert goldene Sterne hervor, und zufrieden verkrieche ich mich nach einer warmen Mahlzeit in meinen Schlafsack. Keinesfalls hätte ich gedacht, in so unmittelbarer Nähe zur Hauptstadt schon einen ersten Hauch von Abenteuer und Freiheit spüren zu können.

Unterwegs zu den Almen um die Monti Nebrodi

Tags darauf führt der Weg über mehrere Serpentinen wieder die Berge hinunter. Dabei überquere ich zufällig eine der wohl am spektakulärsten gelegenen Brücken meines Motorradlebens. Ich halte an und blicke über den smaragdgrünen Lago del Salto. »So kann es weiter gehen!«, denke ich mir, schalte einen Gang herunter und lasse meiner Freude freien Lauf.

Die SR83 führt mich danach schnurstracks weiter durch den Nationalpark der Abruzzen, wo ich einige Gelegenheiten für kurze Wanderungen nutze, Murmeltiere beobachte und mich an dem vielseitigen Panorama aus Felsen, Wäldern und Seen erfreue.

Ungehemmte Lebensfreude auf den Straßen von Messina anlässlich des italienischen Sieges bei der Fußball-Europameisterschaft.

Es ist schon spät am Abend, als ich ein paar Tage später den Golf von Pozzuoli erreiche. Ich plane keinen langen Aufenthalt, passiere Neapel aber dennoch durch das dicht gedrängte und vom Nachtleben geprägte Zentrum. Mein Ziel für eine weitere Nacht im Freien ist der aktive Vulkan Vesuv, dessen Kraterrand auf 1281 Metern über die kurvenreiche SP140 erreicht werden kann. Der Verkehr entlang der touristischen Amalfiküste ist auf jeden Fall ein Erlebnis ganz besonderer Art.

Ich verbringe einige Zeit in San Lazzaro, um diesen Teil der sorrentinischen Halbinsel zu erkunden. Die dichtbefahrene Strada Amalfitana ist der Zubringer zu Orten wie Maiori, Minori, Ravello oder dem gemütlichen Fischerstädtchen Positano. An einem dieser Tage, links und rechts von mir drängen sich wie wild Motorroller, Fahrräder und Fußgänger, versuchen sich ein großer SUV und ein Omnibus die Breite der Straße zu teilen, welche geschätzt aber einfach einen Meter zu schmal ist. Es dauert ewige Minuten, bis die beiden Fahrzeuge sich aneinander vorbeidrängen, was von temperamentvollen Worten der Fahrer und einem wilden Hupkonzert begleitet wird. Letzteres wäre an dieser Stelle laut einem Schild eigentlich verboten. Aber wie ich lernen darf, nimmt es der Italiener mit den Regeln nicht immer so genau.

Durchaus ernster nehmen es die Polizei­beamten bei der Kontrolle der Parkplätze für Motorroller, die allerorten so knapp bemessen sind, dass eine große Reiseenduro mit Koffern nur schwerlich Platz findet. Am Ende bin ich froh, die Küste über Salerno zu verlassen, von wo aus es über deutlich einsamere Straßen weitergeht.

Einsames Lager im Aspromonte Nationalpark

Maratea liegt an der südlichen Grenze von Basilikata und lohnt alleine schon wegen der schwindelerregenden Auffahrt zur 21 Meter hohen Christus Statue. Als touristische Hauptattraktion und Pilgerstätte darf die Statue mit dem eigenen Fahrzeug nicht angefahren werden, die Zufahrtsstraße ist nur am frühen Morgen geöffnet. Deswegen breche ich gegen vier Uhr früh zu meiner Erkundungstour auf, werde bei der Statue jedoch leider von dichtem Nebel begrüßt. Alleine stehe ich auf dem Parkplatz, der tagsüber den vielen Reisebussen vorbehalten ist. Missmutig genehmige ich mir ein Frühstück mit Kaffee von meinem Campingkocher. Doch knapp eine Stunde später verziehen sich plötzlich die Wolken und geben den Blick über die Stadt und das Meer frei. Ich bin sprachlos! Schnell lasse ich meine Drohne aufsteigen.

Hoch über der Küste thront in der Provinz Potenza die 21 Meter hohe Christus Statue von Bruno Innocenti.

Die Anfahrt zur Chiesa di Santa Marina in Messina gleicht einer Pilgerwanderung durch dichte Wälder.

In ihrem weiteren Verlauf bietet die SS18 dem Motorradfahrer nur wenig Abwechslung, dafür aber durchgehend einen freien Blick auf das Tyrrhenische Meer. Je weiter ich nach Süden gelange, desto ursprünglicher werden die Ortschaften. Auch treffe ich kaum noch andere Touristen oder Motorradreisende. Wie im Irrgarten führen hier hunderte kleine Wege zu entlegenen Bergdörfern.

Für den Weg zur Spitze des italienischen Stiefels lasse ich mir Zeit, doch kaum in Messina angekommen, ist die Gemütlichkeit schon wieder dahin. Die quirlige Metropole saugt mich samt meiner Tiger geradezu auf. Und ich lasse mich bereitwillig durch das urbane Leben treiben.

Sizilien wirkt wie eine andere Welt. Schon nach wenigen Kilometern erblicke ich den mächtigen Ätna, welcher derzeit öfters eine kleine Aschewolke aus seinem Krater spuckt. Natürlich will ich den 3357 Meter hohen Berg noch genauer erkunden und nehme gleich die erste Straße auf der nördlichen Seite des Vulkans. Jene ist von feinem, schwarzem Aschestaub überzogen und eine ziemlich rutschige Angelegenheit. Auch die Fahrt durch einen abgekühlten Lavastrom ist ein Abenteuer, welches in Europa wohl ziemlich einzigartig sein dürfte.

Für die eigentliche Besteigung benötige ich nur ein paar Stunden. Aufgrund intensiver Aktivitäten ist der Gipfel unerreichbar, und enttäuscht blicke ich von 2800 Metern Höhe hinauf zu den Kratern. Allerdings schenkt mir der Vulkan eine durchaus mächtige Eruption, bei welcher ich die rote Lava durch die Luft fliegen sehe und das Donnern aus seinem Inneren höre. Ich verlasse den Berg über die westliche Flanke und besuche noch Stracusa und Pachino.

Bei starker vulkanischer Aktivität ist die Besteigung des Ätna bis zum Gipfel zu gefährlich. Die Lavaströme vergangener Ausbrüche kann man aber sicher erreichen.

Die Städte Pietrapertosa und Castelmezzano sind durch eine abenteuerliche Seilbahn verbunden.

Der Ätna soll auf meiner weiteren Reise über die Insel allgegenwärtig bleiben. Selbst von Enna aus, wunderschön gelegen in der geografischen Mitte der Insel, kann man noch die dunklen Wolken über dem Krater erkennen. Und auch später, egal von welchem Aussichtspunkt ich in Richtung Osten blicke, der Ätna prägt dominant die Landschaft.

Der südliche Zipfel Italiens rund um den Nationalpark Aspromonte entpuppt sich als wahres Schlaraffenland für Reiseenduros. Ich fahre in das beschauliche Samo und finde dabei viele verlassene Ortschaften, zerfallene Brücken und aufgerissene Strecken, die mir einiges an Fahrkönnen abverlangen. Bedingt durch die langen Flussläufe hinab zum Meer ist die Navigation etwas mühselig. Temperaturen um die 40 Grad machen mir zusätzlich zu schaffen. Einige Male sehe ich Löschhubschrauber mit ihren großen Wassertanks, die versuchen, die nahen Waldbrände zu löschen.

Tatsächlich wird eine gewisse Wasserknappheit in dieser Gegend auch für mich zum Problem, weswegen ich bei jeder Gelegenheit an einem kleinen Supermarkt oder einem der Brunnen anhalte. Äußerst freundlich begrüßen mich die Menschen vor Ort, laden mich auf einen Kaffee ein und sind sehr an meiner Reise und dem Motorrad interessiert. Ein Geheimtipp eines älteren Mannes führt mich weit hinauf in die Berge, wo ich nahe einer Felskante mein Lager errichte und den wohl traumhaftesten Sonnenuntergang dieser Reise erlebe. Und so geht es stetig weiter, bis ich schließlich Catanzaro passiere, Kalabrien verlasse und wieder nach Basilikata fahre. Wieder verirre ich mich im Geflecht aus extremen Kurvenstraßen, Wäldern, Dörfern und kleinen Städtchen, die allesamt ihre ganz eigene Geschichte dieser Provinz erzählen.

Etwas verträumt sitze ich mit einem Glas Rotwein vor einer Bar. »Ciao, viaggi da solo?«, mit diesen Worten spricht mich freudig Mariana an. Mit einer Mischung aus Italienisch und Englisch antworte ich, dass dem so ist und dass es mir hier in den Sassi, dem historischen Stadtteil von Matera, sehr gut gefällt. Sie bittet mich zu ihrem Tisch, wo ich Bibiana und Paulo kennenlerne. Noch in derselben Nacht führt mich die Gruppe zu den versteckten Schönheiten der Stadt und gibt mir Einblick in das italienische Leben. Schnell bin ich von der Lebensfreude der drei eingenommen und aus dem ursprünglich geplanten Aufenthalt von zwei Tagen werden mehr als zwei Wochen.

Jene Tage sind – neben langen Spaziergängen durch die Höhlensiedlungen – gefüllt von tollen Gesprächen, bestem italienischen Essen, Pizza, viel Eiscreme und noch mehr Wein. Paulo zeigt mir mit seinem Scooter die umliegende Gegend, ich besuche alte Bauernhöfe und lerne seine Freunde bei der Arbeit kennen.

Die zum UNESCO Weltkulturerbe zählende Stadt Matera entpuppt sich als perfekte Basis, um weitere Orte mit der Tiger zu erkunden. An besten Abenteuerwegen besteht kein Mangel. Die Gegend ist sehr trocken, täglich steigt das Thermometer auch hier über 40 Grad, und manche Landstriche erinnern fast schon an Wüstenlandschaften. Zusammen mit Bibiana begebe ich mich auf den »Volo dell‘Angelo«, den Engelsflug. Hinter der bildhaften Beschreibung verbirgt sich eine Seilbahn, die über fast drei Kilometer Pietrapertosa und Castelmezzano verbindet. Höhenangst sollte man bei dem rasanten Ritt zwischen den Felsschluchten allerdings keine haben.

Ein besonders spannender Ausflug führt mich in das alte Craco, welches vor Jahrzehnten durch mehrere Erdrutsche nahezu zerstört wurde. Zur Nacht und bei Vollmond erkunde ich die alten Gemäuer des Kulturdenkmals, was für reichlich Nervenkitzel sorgt und ein Erlebnis für ein Leben ist.

Mit schwerem Herzen fahre ich über Altamura bis in die Küstenstadt Bari weiter. »Unglaublich – es sind schon wieder zwei Monate vergangen«, schießt es mir durch den Kopf. Ein letztes Mal genehmige ich mir Spaghetti und einen Espresso Macchiato, wie ihn nur die Italiener hinbekommen. Vom Deck der Fähre blicke ich auf »Bella Italia« zurück und lasse meine Motorradabenteuer Revue passieren.

Schotterweg oberhalb des Tyrrhenischen Meeres

Unterwegs mit neuen Freunden in der Altstadt von Matera

Santuario della Madonna del Perpetuo Soccorso

Reiseinformationen

Allgemein

Die Reise mit dem Motorrad gestaltet sich absolut unproblematisch. Viele Einheimische sprechen Englisch und Deutsch. Einige Worte Italienisch können aber sehr hilfreich sein.

Sicherheit

Italien gilt als sicher. Wichtig ist eine gute Auslandskrankenversicherung. Für Motorradfahrer besteht keine Warnwestenpflicht.

Reisezeit

Die hier beschriebene Reise fand im Sommer statt. Die Temperaturen waren meist sehr angenehm mit wenig Regen. Im Süden des Landes steigt das Thermometer jedoch leicht über 40° Celsius.

Motorrad

Für einen günstigen und guten Service kann ich Pellegrino Tires in Messina empfehlen. Freie Werkstätten gibt es in allen größeren Ortschaften. Terminvereinbarung empfehlenswert!

Verkehr

Geteerte Straßen sind insgesamt in einem gutem Zustand. Schotterpisten sind gerade im Süden oft mit größeren Steinen übersät und nicht einfach zu fahren. Auf Schmutz in unübersichtlichen Kurven sollte man vorbereitet sein. Schnellstraßen sind mautpflichtig.

Unterkunft

Offizielle Campingplätze gibt es in allen touristischen Gegenden. Wildcamping wird vielerorts zwar »geduldet«, man sollte sich aber bewusst sein, dass hohe Bußgelder von 100 bis 500 Euro verlangt werden können. Besser vorher die Einheimischen fragen! Günstige Unterkünfte kosten zwischen 20 und 40 Euro. Noch preiswerter sind private Appartements, die vielerorts direkt an den Straßen angeboten werden.

Versorgung

Bargeld gibt es ganz einfach an den Bankautomaten. Die Zahlung mit Kreditkarte ist möglich und auch EC-Karten genießen breite Akzeptanz. Es gibt zahlreiche Restaurants, die einfache Speisen zu günstigen Preisen anbieten. Auch das Netz an Supermärkten und Tankstellen ist sehr gut ausgebaut. Letztere bieten oft die Wahl zwischen Selbstbetankung oder einem Service, der 20 Prozent Aufpreis kostet. Die medizinische Versorgung ist gegeben.

Ausrüstung

Ein dünner Schlafsack mit Inlett und eine geeignete Matratze sind für Camper im Sommer gut ausreichend. Gaskartuschen (Primus, MSR) gibt es in Outdoor- oder Angelläden. 3-Season-Zelte reichen völlig aus.

Standardkartenmaterial gibt es in sehr guter Qualität an jeder Tankstelle. Ein GPS empfiehlt sich abseits größerer Straßen. Das Garmin ZUMO XT incl. dem Touratech Halter hat sich sehr bewährt. Auf dem Gerät sind topografische Karten für ganz Europa vorinstalliert. Detailreicher sind OSM Karten.

Infos und Tipps

Weitere Infos zu meinen Reisen finden sich auf www.martin-leonhardt.de



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