Motorradtour auf Sardinien– Ein Abenteuer durch Zeit und Natur

Motorradtour auf Sardinien– Ein Abenteuer durch Zeit und Natur

Sardinien, die zweitgrößte Insel im Mittelmeer, entfaltet ihre Schönheit und Vielfalt besonders intensiv, wenn man sie im Sattel einer Enduro erkundet. Im Oktober 2023 breche ich mit meinem guten Freund Jürgen zu einer unvergesslichen Motorradtour auf, die nicht nur durch atemberaubende Landschaften, sondern auch durch eine reiche kulturelle Geschichte Sardiniens geprägt war.

Die Reise begann nach einem schnellen Transfer, geprägt von strömenden Regen, vom Schwarzwald über den Gotthard-Pass nach Genua und mit der Fähre dann weiter nach Sardinien. Unsere erste Etappe führt uns von Porto Torres, einer Hafenstadt im Nordwesten der Insel nach Castelsardo. Dort angelangt führte uns die Fahrt durch die malerische Stadt durch die engen Gassen und zum historischen Zentrum, wo sich die mittelalterliche Burg Castello dei Doria erhebt. Von dort aus ging es weiter nach Oscheri, wo uns die atemberaubende Landschaft um die Radarstation Monte Limbara erwartete. Die verlassene Funkbasis auf dem Monte Limbara bot nicht nur einen faszinierenden Anblick, sondern auch die Möglichkeit, die Geschichte der Region zu erkunden. Die Radarstation Monte Limbara, majestätisch auf dem gleichnamigen Berg im Herzen Sardiniens gelegen, ist nicht nur ein beeindruckendes architektonisches Monument, sondern auch ein Symbol für die militärische Geschichte der Region. Errichtet in den 1950er Jahren während des Kalten Krieges, diente diese Radarstation ursprünglich der Überwachung des Luftraums und trug maßgeblich zur Sicherheit der Insel bei. Die Anlage, mit ihren markanten Radarkuppeln und Antennen, thront auf dem Gipfel des Monte Limbara und bietet nicht nur einen atemberaubenden Panoramablick über die umliegende Landschaft, sondern auch Einblicke in die strategische Bedeutung Sardiniens während der geopolitisch turbulenten Ära des Kalten Krieges. Die Wahl des Standorts auf diesem Berg ermöglichte eine maximale Reichweite und Überwachung des Luftraums, was zu dieser Zeit von entscheidender Bedeutung war.

Mit der Weiterentwicklung der Technologie, und veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen, verlor die Radarstation Monte Limbara im Laufe der Jahre ihre ursprüngliche militärische Funktion. Heute steht die Anlage als stilles Zeugnis für vergangene Zeiten, eingebettet in die malerische Landschaft Sardiniens. Ihre verlassenen Gebäude und Antennen erwecken eine Atmosphäre der Nostalgie und werfen gleichzeitig Fragen über die Geschichte und die Rolle der Insel während des Kalten Krieges auf. Für Besucher, die die Radarstation Monte Limbara erkunden, bietet sich nicht nur die Möglichkeit, die technologische Entwicklung der Militärluftüberwachung zu verstehen, sondern auch die Chance, die faszinierende Natur und Geschichte Sardiniens zu erleben. Der Berg Monte Limbara selbst ist von einer üppigen mediterranen Flora umgeben und bietet viele – durchaus sehr anspruchsvolle – Offroad-Trails.

Unsere Reise führte uns weiter zum Monte Pulchiana und schließlich nach Isola Rossa, wo wir den Tag mit einem spektakulären Sonnenuntergang über dem Meer abschlossen und die vielleicht leckerste Pizza in ganz Italien genossen.

Am nächsten Morgen ging die Fahrt über Vignola Mare und weiter nach Santa Teresa Gallure, einem charmanten Küstenort im Norden der Insel. Von dort aus starteten wir unsere Offroad-Abenteuer entlang der Costa Smeralda, einer Küstenregion, die für ihre kristallklaren Gewässer und luxuriösen Jachthäfen bekannt ist, bevor wir Olbia erreichten. Im Hinterland fuhren wir nach Posada, einem malerischen Dorf mit mittelalterlichem Charme, wo wir die Nacht verbrachten und uns auf die nächsten Etappen vorbereiteten.

Die Tour führte uns durch das beeindruckende Monte Albo Baronte-Gebirge nach Nuoro, das als kulturelles Herz Sardiniens gilt, und schließlich nach Orgosolo. Hier erlebten wir die einzigartige Street Art des Dorfes. Orgosolo, ein malerisches Bergdorf im Herzen Sardiniens, zieht Besucher mit seinem einzigartigen Charme und seiner faszinierenden Geschichte an. Die engen Gassen sind gesäumt von traditionell historischen Steinhäusern, mit charakteristischen Steinmauern, und verleihen der Stadt eine zeitlose Atmosphäre. Doch Orgosolo ist nicht nur für seine malerische Kulisse bekannt. Es hat sich auch einen Ruf als Zentrum der sardischen Widerstandsbewegung und für seine beeindruckende Street-Art-Szene erworben. Die Wurzeln von Orgosolo reichen tief in der Geschichte der Insel. Der Ort strahlt Authentizität aus und bietet einen Einblick in das ländliche Leben Sardiniens.

Die wahre Besonderheit von Orgosolo liegt jedoch in seiner kulturellen und politischen Geschichte. Während der 1960er und 1970er Jahre war das Dorf ein Zentrum sozialer Unruhen und politischer Engagements. Diese Zeit der Unruhen fand ihren Ausdruck in den eindrucksvollen Wandmalereien, die die Wände von Orgosolo schmücken. Diese Street Art, oft politisch und sozial engagiert, erzählt von den Kämpfen und Träumen der Bewohner und verleiht Orgosolo einen einzigartigen, schnell rebellischen Charakter. Ein Besuch in Orgosolo bietet somit nicht nur die Gelegenheit, die traditionelle sardische Lebensweise zu erleben, sondern auch in die lebendige Geschichte und Kunst der Region einzutauchen. Die Wandmalereien, die noch heute die Fassaden schmücken, sind eine visuelle Reise durch die Vergangenheit und machen Orgosolo zu einem kulturellen Juwel inmitten der sardischen Berge.

In Orgosolo kann man wahrscheinlich mehrere Tage verbringen – und man hat noch nicht alles gesehen, was erkundenswert ist. Man sollte mindestens über den Corso Repubblica fahren und die bemalten Häuser anschauen. Helmut Schmidt ist an der Bar Ziu Mesina (Hausnummer 88) verewigt. Hier gibt es nicht nur sehr leckeren Espresso – sondern auch deutsche Terrorgeschichte aus den Zeiten der RAF zu sehen.

Die Strecke von Orgosolo nach Lanusei führte uns durch malerische Landschaften, darunter Fonni und den idyllischen Lago di Gusana. Trotz des widrigen Wetters genossen wir die Fahrt nach Belvi und Seulo, zwei charmanten Ortschaften mit ihrer eigenen Geschichte.

Auf diesem Streckenabschnitt passieren wir immer wieder die Eisenbahnlinie nach Tonara. Auf Sardinien ist die Eisenbahn mehr als nur ein Transportmittel. Sie ist eine faszinierende Art, um in die Geschichte und Schönheit der Insel einzutauchen. Die Strecke führt durch malerische Landschaften, von Olivenhainen bis zu sanften Hügeln, und vermittelt dabei das Gefühl einer Zeitreise. Die Bahnfahrt nach Tonara, eingebettet in die sardische Natur, bietet nicht nur atemberaubende Ausblicke, sondern auch einen Einblick in die ländliche Lebensweise der Region. Es ist eine Reise, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbindet, während das rhythmische Klappern der Schienen die Melodie einer unvergesslichen Reise durch Sardiniens Herz singt. Die kurvenreiche Provinzstraße SP8, die ziemlich exakt neben dieser Bahnlinie verläuft, ist ein Kurvenrausch für jeden Motorrad-Enthusiasten. Leider regnet es immer wieder – Laub liegt auf der Straße und die Wetterbedingungen sind alles andere als angenehm.

Der Tag endete in Lanusei, wo wir uns von Regen, Wind und Kälte erholten. Ja – im Oktober ist die Mittelmeerinsel Sardinien für so mache Wetterkapriolen bekannt und auch berüchtigt.

Von Lanusei aus setzen wir unsere Reise fort nach Gairo Vecchio und Perdasdefogu. Der Name Gairo setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern „ga“ und roa“ zusammen, was „Fließende Erde“ bedeutet. Nach einem Sechs-Tage-Unwetter, das in den 1950-Jahren in und über Sardinen wütete, wurde aus den Namen Realität. Der Regen löste einen solch gewaltige Schlammlawine aus, dass das halbe Dorf darunter begraben wurde. Nach diesem Ereignis entschlossen die Bewohner, das bisherige Dorf zu verlassen und an neuer Stelle aufzubauen. Es entstand die Geisterstadt Gairo Vecchio, die bis heute viele Besucher anlockt und in ihren Bann zieht.

Perdasdefogu, ein malerisches Dorf in den sanften Hügeln Sardiniens, trägt eine tiefe emotionale Geschichte in seinen steinernen Mauern. Die engen Gassen erzählen von vergangenen Generationen, während die charmanten Häuser Geschichten von Gemeinschaft und Traditionen flüstern. Doch Perdasdefogu ist mehr als nur Geschichte; Es ist ein Ort, der das Gefühl von Zugehörigkeit und Zusammenhalt vermittelt. Hier scheint die Zeit noch still zu stehen, während die Bewohner ihre Wurzeln pflegen und die Schönheit der sardischen Kultur bewahren. Perdasdefogu, ein scheinbar gewöhnliches Dorf in den abgelegenen Bergen Sardiniens, birgt ein außergewöhnliches Geheimnis: Es ist das „Dorf der Hundertjährigen“, ein Guinnessbuch-Rekordhalter. Die wunderschöne Anreise über enge, kurvige Straßen führt zu einem Ort, der sich durch seine vorromanische Kirche, einen zentralen Platz und kleine Geschäfte auszeichnet. Die unscheinbare Piazza Longevità (Platz des langen Lebens) erinnert an die Rentner, die sämtliche Höhen und Tiefen der italienischen Geschichte erlebt haben. Das Dorf ist stolz auf seine Bewohner, deren Schwarz-Weiß-Fotos, mit Namen und Geburtsjahr, die pastellfarbenen Fassaden der Häuser zieren. Perdasdefogu ist nicht nur ein Dorf -es ist ein lebendiges Zeugnis für ein langes und erfülltes Leben der Menschen.

Die Etappe endete schließlich in Oristano, einer Stadt mit römischen Wurzeln, wo wir uns auf den letzten Abschnitt unserer Tour vorbereiteten.

Die Offroad-Abenteuer setzen sich fort, als wir von Oristano entlang der Küste nach Putzu Idu fuhren. Unterwegs passierten wir malerische Dörfer wie Seneghe, Santu Lussurgiu, Cuglieri und Magomadas, bevor wir schließlich in Bosa Marina ankamen. Die atemberaubenden Küstenansichten und das Adrenalin der Offroad-Strecken machen diesen Tag zu einem unvergesslichen Abschnitt unserer Reise.

Die letzte Etappe von Bosa Marina zurück nach Porto Torres gab uns Zeit, die Eindrücke der vergangenen Tage zu reflektieren. Die farbenfrohen Häuser, die engen Gassen und die historische Atmosphäre dieser liebenswürdigen Stadt rundeten unsere Reise perfekt ab. Sardinien, mit seinen kontrastreichen Landschaften, der herzlichen Gastfreundschaft, seiner Bewohner und einer Geschichte, die in den Steinen der alten Dörfer eingraviert ist, hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck in unseren Herzen.

Diese Motorradtour war nicht nur ein Abenteuer auf zwei Rädern, sondern auch eine Reise durch die Seele Sardiniens – eine Reise, die uns tiefer in die Schönheit und Authentizität dieser einzigartigen Insel führte. Von den majestätischen Bergen bis zu den malerischen Küsten war jede Kurve der Straße ein weiteres Kapitel in diesem fesselnden Buch der Entdeckung. Die Geschichte Sardiniens erstreckt sich weit über die Straßen hinaus und wird in den alten Ruinen, den lebhaften Städten und den Traditionen der Menschen lebendig. Während wir durch die Zeit und Natur auf zwei Rädern reisen, erfuhren wir nicht nur die Freiheit der Straße, sondern auch die tiefe Verbindung mit der Geschichte und Kultur dieses einzigartigen Fleckchens Erde im Mittelmeer.

Für mich war dies nun die dritte Offroad-Reise auf Sardinien. Und eines sicher – ich werde wieder kommen. Offroad-Motorradfahren ist pures Glück und Freiheit. Die unbeschreibliche Freude, über unbekannte Pfade zu brausen, das Knattern des Motors, der Wind im Gesicht – es ist ein intensives Abenteuer. Jeder Hügel, jeder Berg, jede Wasserdurchfahrt und jedes Hindernis sind eine Herausforderung, die nicht nur den Körper stärkt, sondern auch das Selbstbewusstsein wachsen lässt. Offroad-Fahren ist mehr als nur eine Leidenschaft; es ist ein emotionaler Ausdruck von Freiheit und ungebremster Lebensfreude.



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