Terra Incognita | Südamerika-Reise von Joe Pichler

Terra Incognita | Südamerika-Reise von Joe Pichler

Im zweiten Abschnitt ihrer Südamerikareise besuchen Joe und Renate Pichler die von Motorradfahrern kaum bereisten Länder im Norden des Kontinents: Guyana, Suriname und Französisch-Guyana. Verschlammte Pisten durch den Regenwald machen den Trip zur fahrerischen Herausforderung.

Leticia, die Hauptstadt des brasilianischen Departamento de Amazonas liegt mitten im Regenwald und ist mit Landfahrzeugen nicht zu erreichen. Alle Güter oder Dinge des täglichen Bedarfs werden mit dem Flugzeug transportiert. So auch unsere KTM, die wir von Bogotá, unserer letzten Station in Kolumbien, einfliegen lassen.

Und auch auf unserer ersten Etappe in Brasilien hat die Adventure Pause. Mit dem Personenschiff »Vitoria Regia« schippern wir den Rio Solimões flussabwärts. Die wenigen Kabinen sind schon reserviert. Aber wir haben ja unsere Hängematten dabei, mit denen wir es uns an Oberdeck gemütlich machen.

Vorbei an Dörfern, für die das Boot die einzige Verbindung zur Außenwelt ist, gleiten wir den träge dahinfließenden Strom flussabwärts und erreichen nach vier Tagen Manaus. Durch den Kautschukboom unvorstellbar reich geworden, war Manaus Ende des 19. Jahrhunderts die modernste Stadt Brasiliens. 1896 wurde hier das Teatro Amazonas, ein prunkvolles Opernhaus eingeweiht. Viele der Baumaterialen wurden aus dem fernen Europa importiert.


Im Amazonasgebiet ist das Boot das wichtigste Transportmittel

Manaus ist für uns nur Zwischenstation auf unserem Weg nach Guyana, Suriname und Französisch-Guyana. Die BR-174 von Manaus nach Boa Vista ist eine gut ausgebaute Fernstraße, nur der tägliche Regen schmälert das Fahrvergnügen. Nach Presidente Figueiredo durchqueren wir das Gebiet der Waimiri Atroari. Die Straße führt kerzengerade durch unberührten Regenwald. Auf 120 Kilometern ist es verboten stehen zu bleiben oder zu fotografieren. Nördlich des Schutzgebietes für die Ureinwohner ist der Regenwald abgeholzt, Rinderherden grasen am Straßenrand.


Per Boot von Suriname nach Französisch-Guyana

Skulptur am Äquator in Roraima

»You must drive on the left side!«

Bei der Einreise nach Guyana in Lethem gibt es ein klitzekleines Problem. Die Impfung allein reicht nicht aus, wir müssen zusätzlich einen Coronatest machen. Nach 15 Minuten Wartezeit ist die Überraschung groß. Renate ist negativ, aber ich bin positiv. Damit habe ich definitiv nicht gerechnet. Wir müssen zurück nach Brasilien und können frühestens in fünf Tagen einen neuen Test machen. In Bonfim gibt es ein kleines Hotel. Renate bekommt ein eigenes Zimmer und versorgt mich mit Essen. Ich habe bis auf einen rauen Hals keine Symptome, der Kühlschrank ist voll, und das Internet funktioniert. Es könnte schlimmer sein.

Sieben Tage später werden wir wieder getestet und Gott sei Dank, sind wir beide negativ und dürfen nach Guyana einreisen. »You must drive on the left side«, erklärt uns der Grenzbeamte. Man hat in Guyana nicht nur Englisch als Amtssprache von den ehemaligen britischen Kolonialherren übernommen, sondern auch den Linksverkehr beibehalten. Doch auf der Lethem-Linden Road, einer der legendärsten Strecken Südamerikas, ist das völlig egal. 440 Pistenkilometer liegen vor uns. Nach starken Regenfällen entstehen unzählige Schlammlöcher, und jeder versucht nur irgendwie durchzukommen. Egal ob rechts oder links. Für mich sind das 440 Kilometer Offroad-Spaß. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob Renate als Sozia die ganze Strecke auch so genossen hat.

Der Kaieteur-Wasserfall stürzt 226 Meter in die Tiefe


Der Kaieteur Wasserfall in Guyana ist nur mit dem Flugzeug zu erreichen

Das touristische Highlight von Guyana, den Kaieteur-Wasserfall, können wir nur mit dem Flugzeug besuchen. Mit einer Höhe von 226 Metern gehört er zu den höchsten Wasserfällen Amerikas. Ich habe danach etwas über das doch sehr eigenartige Flugzeug recherchiert. Die Britten-Norman Trislander zählt nicht gerade zu den sichersten Typen. Vom Erstflug 1970 bis Februar 2020 kam es zu 26 Totalschäden; das entspricht 36 Prozent aller gebauten Maschinen. Bei acht dieser Flugunfälle kamen 49 Menschen ums Leben.


Niederländisches Erbe in Suriname

Wieder heil gelandet, geht es weiter nach Suriname, einer ehemaligen niederländischen Kolonie. Mit Paramaribo erreichen wir die Hauptstadt des kleinsten Landes Südamerikas. Weißgetünchte Holzhäuser aus der Kolonialzeit prägen noch heute das Straßenbild des Stadtzentrums. Suriname ist ein Schmelztiegel der Kulturen. In der Kolonialzeit sind, mehr oder weniger freiwillig, Männer und Frauen aus vielen fremden Ländern nach Südamerika gekommen. Neben den indigenen Ureinwohnern leben heute Menschen indonesischer, indischer, chinesischer, afrikanischer und europäischer Herkunft hier. Sie sind Surinamer, aber alle haben ihre Religionen und Traditionen bewahrt. In Paramaribo befindet sich die Peter-und-Paul-Kathedrale, der größte Holzbau Südamerikas, und die größte Moschee der Karibik steht direkt neben einer jüdischen Synagoge.


Unterwegs auf der 440 Kilometer langen Lethem-Linden Road

Irgendwie haben wir nicht die richtige Reisezeit erwischt. Auf dem Weg nach Albina regnet es ununterbrochen. In dem Grenzort parken wir das Motorrad und steigen einmal mehr aufs Boot um, um das Galibi Naturschutzgebiet an der Mündung des Marowijne Flusses zu besuchen. Nach einer Stunde erreichen wir Christiaan Kondre. Die Bewohner sind indigene Amerindians und zählen zu den Ureinwohnern Surinams. Sie betreuen das Galibi Naturschutzgebiet, einen der weltweit größten Legestrände für Riesenschildkröten. Für Besucher gibt es strenge, für uns Fotografen sehr einschränkende Richtlinien. Kein Blitzlicht, und es dürfen nur Taschenlampen mit rotem Licht verwendet werden. Im Schutz der Dunkelheit kommen die Weibchen an Land. Die Eiablage ist harte Arbeit für das 150 Kilogramm schwere Tier. Es dauert fünf Stunden, bis über 100 Eier im Sand vergraben sind und das urzeitliche Tier wieder im Meer verschwindet.


Regenfälle haben die Piste nach Linden in ein Schlammloch verwandelt

Ein Liter Bier kostet 12 Euro – dann doch lieber Französischen Rotwein

Wir sind immer noch in Südamerika, doch nach einer kurzen Bootsfahrt über den Marowijne kommen wir in einer völlig anderen Welt an. Französisch-Guayana ist ein Übersee-Département und gehört politisch zu Frankreich. Wir bekommen keinen Einreisestempel in den Pass, benötigen aber eine Haftpflichtversicherung fürs Motorrad. Die in Europa gültige Internationale Versicherungskarte wird nicht akzeptiert. Wir bleiben nur eine Woche im Land, aber der einzige Versicherungsagent im Ort verkauft nur eine Motorradversicherung, die drei Monate gültig ist und 400 Euro kostet. Französisch-Guyana ist generell ein teures Pflaster. Ein Liter Bier kostet 12 Euro, zehnmal so viel wie in Brasilien. Aber französischer Rotwein, Baguette und Camembert sind eine willkommene Abwechslung auf unserem Speiseplan.

Die Bewohner von Christiaankondre organisieren den Besuch des Galibi Naturreservats

Der Grenzort Saint-Laurent-du-Maroni war einst eine Strafkolonie und hat durch den Film Papillon eine gewisse Berühmtheit erlangt. Erst 1953 wurde die Strafkolonie für immer geschlossen.

In Kourou ist Europas einziger Weltraumbahnhof. Von hier starten seit 1979 nicht nur die europäischen Ariane-, sondern auch russische Sojus-Raketen. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde die Zusammenarbeit jedoch von der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos gestoppt. Alle in Kourou geplanten Sojus-Starts wurden abgesagt.

Die typischen Regenwaldbrücken werden bei Nässe rutschig

Auf dem Rückweg warten 580 Kilometer Dschungelpiste

In Cayenne, der Hauptstadt von Französisch-Guayana, gibt es einen gut ausgestatteten Motorradladen, wo wir neue Reifen montieren lassen. Für uns eine willkommene Gelegenheit, denn zurück in Brasilien führt die Piste nach Macapa noch einmal 580 Kilometer durch den Regenwald. Und dieser macht seinem Namen alle Ehre. Kurze aber kräftige Regengüsse weichen die Piste auf, und das Überqueren unzähliger Holzbrücken wird zu einer gefährlichen Rutschpartie. In Macapa endet die Straße am Ufer des Amazonas. Wir durchqueren das riesige Amazonasdelta auf einem Schiff und erreichen rechtzeitig zum Faschingssamstag São Luís an der Atlantikküste.

Eine Tagesetappe weiter östlich liegt der Nationalpark Lençóis Maranhenses, die einzige Wüste Brasiliens. Im Nationalpark sind Motorräder nicht erlaubt. Wir mieten uns daher ein Allradfahrzeug und durchqueren ein eigentlich trockenes Dünengebiet. In der Regenzeit sammelt sich allerdings Wasser in tausenden Lagunen, wodurch eine völlig surreale Landschaft entsteht.

Die Lençóis Maranhenses ist die einzige Wüste Brasiliens

Entlang der brasilianischen Küste erreichen wir schließlich Fortaleza, die Endstation unserer Reise durch einen wenig bekannten Teil Südamerikas.

Anreise und Einreise

Die Einreise über eine Landgrenze nach Guyana ist nur von Brasilien und Surinam aus möglich. Suriname ist nur von Guyana und Französisch-Guyana aus erreichbar. Zwischen Französisch-Guyana und Brasilien gibt es auch nur einen einzigen Grenzübergang, über die Brücke bei Olapoque.

Dokumente

Ein gültiger Reisepass, nationale Zulassung und nationaler Führerschein sind obligatorisch. Ein Carnet de Passages ist nicht erforderlich. Bei der Einreise wird in jedem Land eine temporäre Einfuhrgenehmigung ausgestellt.

Brasilien: Keine zusätzlichen Unterlagen erforderlich.

Guyana: Eine Versicherung fürs Motorrad muss abgeschlossen werden, bevor man den Einreisestempel bekommt. Dies ist aber in Lethem kein Problem. Die temporäre Einfuhrgenehmigung an der Grenze in Lethem ist nur drei Tage gültig und muss innerhalb dieser Zeit in Georgetown verlängert werden. Ein internationaler Führerschein ist vorgeschrieben, wir wurden aber nie danach gefragt.

Suriname: Eine Versicherung fürs Motorrad muss bereits in Guyana abgeschlossen werden. Die E-Tourist Card muss vorab beantragt werden. Gelbfieberimpfung ist vorgeschrieben. Ohne diese Unterlagen kommt man nicht auf die Fähre über den Corantijn-Fluss.

Französisch-Guyana: Dieses Übersee­departement gehört politisch zu Frankreich. Eine Versicherung fürs ­Motorrad muss im Grenzort abgeschlossen werden. Das Bike bleibt an der Grenze stehen, zu Fuß geht es zum Versicherungsmakler.

Klima und Reisezeit

Im Amazonasgebiet gibt es von Mai bis November am wenigsten Regen, es muss aber täglich mit einem Schauer gerechnet werden. An den Küsten der Guyanas ist es von Februar bis April sowie von August bis Oktober am trockensten.

Motorrad, Verkehr und Sicherheit

Von guten Fernverkehrsstraßen über staubige oder schlammige Pisten ist je nach Wetter alles vorhanden. Die Benzinversorgung ist kein Problem. Die benötigte Reichweite von 250 Kilometern hat ohnehin jede Reiseenduro.

Gesundheit

Die aktuellen Covid-19-Bestimmungen beachten. Impfungen gegen Tetanus und Hepatitis A und B sind generell zu empfehlen. Im Amazonasgebiet ist eine Malariaprophylaxe ratsam.

Suriname verlangt eine Gelbfieber­impfung. Impfberatung gibt es in den Tropeninstituten.

Geld

Visa-Geldautomaten gibt es überall. Wir haben für Notfälle aber stets einen Vorrat an Euro und US-Dollar in Cash mit dabei. Bei der Ausreise die nicht mehr benötigte Landeswährung gleich an der Grenze umtauschen.

Kommunikation

Für Telefonate innerhalb der einzelnen Länder empfiehlt es sich, eine lokale Sim-Karte zu kaufen. Die heimische Karte funktioniert auch, aber die Roaminggebühren sind sehr hoch. Wifi ist weit verbreitet.

In Brasilien ist etwas Portugiesisch für die Verständigung notwendig. In Guyana wird Englisch gesprochen, und auch in Suriname kommt man damit gut weiter. In Französisch-Guyana wird natürlich Französisch gesprochen.

Literatur und Karten

Für Brasilien, Guyana, Suriname und Französisch-Guyana gibt es Straßenkarten im Reise Know-How Verlag. Für das GPS sind Karten von Garmin und Open Street Maps verfügbar. Reiseführer für Brasilien bietet der Reise Know-how Verlag an. Für Guyana und Suriname sind die Bradt Travel Guides am aktuellsten.

Unterkunft und Verpflegung

Hotels und Zimmer findet man in allen größeren Ortschaften. Es gibt flächendeckend Restaurants und Imbissbuden. Den Kocher kann man getrost zu Hause lassen.

Information im Internet

E-Visa Suriname https://suriname.vfsevisa.com/suriname/online/home/index

Motorradreiseforum www.horizonsunlimited.com

Kontakt zum Autor www.josef-pichler.at



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