Reise | Saudi-Arabien - Zeitreise von Dirk Schäfer

Reise | Saudi-Arabien - Zeitreise von Dirk Schäfer

Vor wenigen Jahren hat das größte Land der Arabischen Halbinsel seine Türen für Reisende geöffnet. Vieles erscheint wundersam, manches erstaunlich vertraut. Dirk Schäfer war in Saudi-Arabien in einer Welt unterwegs, die zwischen Vorgestern und Übermorgen lebt.

Der Rainbow-Arch weist den Weg.

Zweiter Gang, mindestens 4.000 Umdrehungen, Kupplung schnacken lassen! Der Hinterreifen bekommt einen unglaublichen Spin, wirbelt den puderfeinen Sand meterhoch in die Luft. Der Zweizylinder schreit, bis die World Raid auf Tempo gekommen ist. Im Rückspiegel sehe ich Jürgen, aber der wird immer kleiner, kommt nicht hinterher. Ich drehe eine Schleife zwischen den kugeligen Felsen hindurch, die das Tal flankieren und komme bei Jürgen zu stehen. »Ich hatte es wieder im Ersten versucht. « Er lacht und keucht. So wie ich. Seit drei Tagen sind wir jetzt im Küstengebirge Saudi-Arabiens unterwegs, aber der tiefe Sand setzt uns immer noch ordentlich zu. Unsere Lernkurve zeigt zwar nach oben, ist aber nicht so steil, wie der Sand tief ist.

Der Wabah-Krater.

»Ich helfe dir!« Zweiter Gang, reichlich Gas … und Jürgens Ténéré ist wieder frei. Der Fahrtwind trocknet die Schweißströme im Rücken. Und voraus sehe ich die Teerstraße. Dann ist es nicht mehr weit bis zu einer Tankstelle, einem Restaurant und einer herrlichen Erfrischung. Aber die kommt noch eher als wir denken. Auf festem Grund pumpen wir wieder auf vollen Luftdruck auf. Ein weißer Nissan hält direkt hinter uns. Der Fahrer ist in ein blütenweißes Qamis, ein Baumwollgewand gekleidet. Coole Sonnenbrille, gepflegter Vollbart. »Alles ok, Leute?«, fragt er in perfektem Englisch. »Wo kommt ihr her? Motorräder sieht man hier ziemlich selten.« »Aus Deutschland.« »Echt? Willkommen in Arabien! Habt ihr genug zu trinken dabei?« Wir deuten auf die Kanister an unseren Koffern. »Trotzdem, nehmt bitte noch zwei Flaschen von mir.« Sagt’s und holt zwei wunderbar kühle Mineralwasserflaschen aus dem Bordkühlschrank. »Und hier ist meine Visitenkarte. Wenn ihr Hilfe braucht, ruft mich an!« Ein schöner Zufall? Ja. Allerdings einer, der sich teils mehrfach täglich abspielt. An einem Tag wussten wir nicht mehr, wo wir alles Wasser verstauen sollten. Es scheint, als ob man in den Wüsten Saudi-Arabiens nicht verdursten kann.


»Do you speak English?« Man muss nicht Arabisch können, um sich zu verständigen.


Nachts im Nirgendwo zwischen Tayma und Al Ula.

Ich hatte Jürgen schon angedeutet, dass es vielleicht schwierig werden würde. Und jetzt wird es schwierig. Aber es gibt auch eine Belohnung für die Mühen. Doch die sind noch nicht in Sicht. Zwischen all dem Sand und all den Bergen des Landes gibt es Orte, an die Mutter Natur Kuriositäten gestellt hat. Zum Beispiel diese Pilzfelsen auf dem Weg nach Al Jadid. Wie Pfifferlinge, die in Gullivers Reisen monströse Größen angenommen haben, wachsen sie aus Dünen. Nur wenige Kilometer später steckt eine Art versteinerter Gabel im Sand. So riesig, dass man zwischen den Zinken hindurchfahren kann. Aber das eigentliche Zauberland wartet in den Al Naslaa-Bergen. Formationen, die aussehen wie ein chinesischer Drache, ein wie mit dem Schwert geteilter Fels und noch mehr Pilzfelsen prägen die unwirkliche Atmosphäre. Aber der Weg dorthin führt durch tiefen Sand. Wird’s denn irgendwo mal leichter mit dem Fahren?

Fester Fels in den Al Naslaa-Bergen.


Das Wadi Disah bietet paradiesische Perspektiven und eine höllische Piste.

Natürlich! Von Madai‘n Salih bahnt sich eine Asphaltstraße den Weg nach Westen. Großzügige Kurven schwingen durch wundersame Täler. Aber das Wundersamste unter ihnen kommt gleich. Das Wadi Disah. Das Wadi Disah ist eine durchgängige Schlucht in einem labyrinthischen Meer aus Stein. Den Einstieg finden wir problemlos, denn bis sich das Tal zum Canyon verengt, haben wir Asphalt unter den Gummis. Aber just da, wo das Tal zum gewundenen Nadelöhr wird und wir die feste schwarze Decke gebrauchen könnten, verdünnisiert sie sich auf Nimmerwiedersehen. Sofort wechselt der Belag auf supersoft und tief verspurt. Ich habe alle Mühe, die World Raid auf Kurs und mich im Sattel zu halten. Wie weit hatten wir den Luftdruck abgelassen? Mit Rücksicht auf steinige Abschnitte nur bis 1,5 bar. Da muss noch mehr raus. Potentielle Steine sind mir jetzt egal. Wir stoppen, erleichtern die Reifen nochmal ordentlich um Druck. Wollen doch mal sehen, ob wir das hier nicht in den Griff bekommen. Und ja, mit 0,9 bar fährt sich’s besser. Aber voll beladen leider immer noch nicht richtig gut. Und die Steine werden kommen. Also Augen auf!


Druck lass nach: 1,5 bar auf der harten Piste.

Wenn die Straßenschluchten von L. A. eines Tages versteinert, die Hochhäuser von magischen roten Felsen überwuchert werden sollten, dann wird es so aussehen wie im Wadi Disa. Die Hitze staut sich im windstillen Tal, und Palmen haben sich im steten Kampf ums Überleben zusammengerottet, bilden kleine Wälder aus grünen Wedeln. Rumms! Schlagartig bin ich zurück aus dem Tagtraum auf der Piste. Die Vorderradfelge hat im Tiefsand etwas erwischt. Was ist egal, denn der Reifen hat den Schlag nicht schadlos überstanden. Platten. Und die Felge? Sieht noch gut aus. Im Schatten einiger Palmwedel machen wir uns ans Flicken. Eine Stunde später rollen wir auf festem Grund Richtung Al Ula. Die 250 Kilometer zur Oasenstadt werden nach dem schweißtreibenden Wadi Disah zum regelrechten Wellness-Programm. Die World Raid kommt mir vor wie eine Gold Wing, an der nur die Soundanlage fehlt. Zum Ausgleich dafür wird eine 360°-Panorama-Projektion geboten: Felstürme, Zipfelmützenberge, steinerne Wellen. Durch dieses Panoptikum der Erosion hindurch bahnt sich die makellose Straße ihren Weg hinauf auf ein Plateau. Die letzten Sonnenstrahlen gleißen über die Geröllebene und in der Ferne sind die ersten Lichter von Al Ula zu sehen.


Highspeedstrecke nach Al Ula.

Wir steuern den Elephant Rock, einen von Al Ulas Wahrzeichen an. An dem Felsgebilde, das aufgrund seiner schieren Größe eher an ein Mammut als an einen Elefanten erinnert, ist ein Open-Air-Restaurant mit Lounge-Flair eingerichtet. Wir setzen uns in eine zur Sitzgruppe gestalteten Mulde und bestellen … Chicken Burger, Pommes und einen eiskalten Minzdrink. Nicht typisch arabisch aber am Ende dieses Tages genau richtig.

Heute haben wir ein Treffen mit Alex, einem Freund aus Frankreich, verabredet. Er ist mit seiner Transalp von zu Hause bis zum Zieleinlauf der Dakar in Saudi-Arabien gefahren. Treffpunkt ist die Tankstelle am Ortsausgang von Al Thamad. Wir sind als erste da. Aber das Warten fällt uns nicht schwer. Denn fast überall im Land gibt es neben den Tankstellen erstklassige Coffeeshops und andere Annehmlichkeiten wie Restaurants, Supermärkte und Friseure. Gerade haben wir uns etwas zu trinken geholt, als das unverkennbare Blubbern des Honda-V2 näherkommt. Alex strahlt unter seinem Helm. Sekunden später liegen wir uns in den Armen. Was für ein Wiedersehen! Zu erzählen gäbe es jede Menge. Aber wir brauchen auch einen Platz zum Übernachten, denn die Sonne steht schon tief. 80 Kilometer östlich von hier gibt es einen verheißungsvollen Ort, einen weißen Vulkan. »Schaffen wir das noch vor Sonnenuntergang? « »Oui, bien sûr, ja sicher!«


Drei von sieben Vulkanen in einer Reihe bei Harrat Kishb, die nacheinander ausbrachen.

Langsam aber stetig steigt die Strecke an. Immer mehr schwarze Vulkankegel ragen über den Horizont. Der Weiße ist nicht zu sehen. Am Rande eines Felds mit scharfkantigen Lavaklumpen biegt eine Piste nach rechts ab. Das muss die zum weißen Vulkan sein. »Sollen wir?« Jürgen und Alex nicken. Die Sonne berührt den Horizont und eine unangenehme Kälte presst sich durch Jacken und Hosen. Wir haben keine zwei Kilometer der Piste bewältigt, da kommt uns ein Polizeiwagen entgegen und zwingt uns zum Anhalten. Wohin wir wollen, will der Uniformierte wissen. »Zum weißen Vulkan.« Erst versucht er es uns auszureden, dann entscheidet er sich um. Wir sollen ihm folgen. Er wendet, schaltet das Blaulicht ein, obwohl wir mutterseelenalleine in der einbrechenden Nacht sind. Wir fahren in seiner Staubfahne bis zu einem Krater, an dessen Rand er stehenbleibt. Er bedeutet uns in den Vulkankrater hineinzufahren, denn da wäre es wenigstens windstill.

Kaffee ist fertig! Frühstückszeit im Vulkanfeld.

Im Krater ist die Nacht zwar windstill aber das Thermometer fällt trotzdem in einstellige Bereiche. Fröstelnd wachen wir auf. Was uns aufwärmt? Der Versuch aus dem Schlund des Kraters durch die Lavaasche wieder auf den Kraterrand zu kommen. Nach ein paar Anläufen gelingt es, und jetzt, vom Rand unseres Vulkans können wir auch den weißen Vulkan sehen. Es ist ein unfassbar surrealer Anblick. Aber da es heißt, man könne auch auf den Weißen hinauf fahren…

Harrat Kaybar ist ein Vulkanfeld von der Größe des Saarlands.

Die Piste ist überraschend gut und schlenzt um mehrere Vulkankegel herum. An der Flanke eines Kegels ist ein überdimensionales Muster aus Steinen gelegt. Wissenschaftliche Schätzungen gehen davon aus, dass Menschen diese Muster vor 7.000 Jahren erschaffen haben. Der Grund? Liegt noch im Dunklen. Ich halte kurz an und berühre einen Stein des Gebildes. Es ist nur ein Gedanke, aber ein eigenartiger: Ein Mensch hat diesen Stein hierher gelegt. Da die Gegend so abgelegen ist, wird es nicht viele Leute gegeben haben, die hier vorüber kamen und diesen Stein ebenfalls berührten. Vielleich bin ich nach 7.000 Jahren der Erste. Mich schaudert kurz. Die Berührung mit dem Stein ist wie eine erfühlte Zeitreise. Mit diesem Land aber ist es auf jeden Fall eine Reise durch die Zeit.

Überwältigende Dimensionen bei Al Buriekah.

Saudi-Arabien

Die Altstadt von Jeddah ist UNESCO Welterbe.

ANREISE / EINREISE

Saudi-Arabien ist über die Großstädte Jeddah und Riad gut an Deutschland angebunden. Direktflüge dauern sechs Stunden. Der Billigflieger Wizzair bietet Direktflüge von Wien nach Jeddah an. Touristenvisa gibt es online, sie sind für 90 Tage gültig (www.visitsaudi.com). Mit dem Visum erwirbt man gleichzeitig eine Krankenversicherung für die Dauer des Aufenthalts. Wer viel Zeit im Gepäck hat, kann auch über Land nach Saudi-Arabien fahren. Um Syrien und den Irak zu umgehen, kann man mit dem Schiff von der Türkei nach Haifa in Israel übersetzen. Weiter geht es dann über Jordanien nach Saudi-Arabien. Frühere Visa-Probleme, die bei Reisen über Israel entstanden, existieren nicht mehr. Alternativ kommt auch die Verschiffung nach Dubai in Betracht. Olaf Kleinknecht von www.in-time.info kann Auskunft darüber geben. Ein Motorrad direkt nach Saudi-Arabien zu transportieren hat sich als zeitaufwändig herausgestellt. Einfacher ist es, sich ein Motorrad zu leihen. Zum Beispiel in Jeddah bei Saudi Dirt Bike Center www.saudidirtbikecenter.com. Inhaber Mishal Alghuneim bietet auch geführte Touren durchs Land an. Touren bietet auch Edelweiss Bike Travel an. Die 16-Tage-Tour kostet ab 9.500 Euro, www.edelweissbike.com.

IM LAND UNTERWEGS


Felsformationen bei Al Buriekah.

Sinnvoll bereisbar ist Saudi-Arabien von Herbst bis Frühling. Unsere Route verläuft durch den abwechslungsreichen Westen des Landes und ist rund 3.000 Kilometer lang. Zwei Wochen sind eine angemessene Zeit dafür. Das Land verfügt über ein gut ausgebautes Fernstraßennetz. Radarkontrollen sind häufig. Die Offroad-Etappen können sehr anspruchsvoll sein. In den großen Städten und bei touristischen Hotspots gibt es Unterkünfte auf gutem europäischem Niveau bis hin zu Luxushotels. Die Preise sind ähnlich wie in Deutschland. Benzin ist deutlich günstiger und kostet ca. 0,50 Euro/Liter.


Lawrence von Arabien attackierte die Züge der Osmanen während des 1. Weltkriegs.

HIGHLIGHTS

Die Highlights dieser Route sind die historische Eisenbahnroute von Medina nach Damaskus. Die Felsengräber von Al Ula sind inzwischen Welterbe. Die Vulkanfelder bei Harrat Khyber sind phänomenal. Jeddah am Roten Meer ist ein guter Einstieg. In der Dreimillionenstadt gibt es alle Verpflegungs- und Nachschubmöglichkeiten.



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