Enduro Piemont: SOLO auf Jubiläumstour | von Michael Hoyer

Enduro Piemont: SOLO auf Jubiläumstour | von Michael Hoyer

In einer Zeit zunehmender Reglementierung ist es schwer, individuelle Freiräume zu erfahren. Dies gilt vor allem für Motorradfahrer. Überall lauern (manchmal auch aus gutem Grund) Radarüberwachungen und machen das Motorradfahren zu einem wahren Vabanque-Spiel.

Geschwindigkeit wird in unserer Gesellschaft sehr positiv bewertet. Von Kindesbeinen an lernen wir, dass der Schnellere auch der Bessere ist. Das gilt jedoch NICHT beim Offroad-Fahren. Hier gilt es, knifflige Situationen souverän zu meistern, der Lohn ist dann die große Freiheit. Und die nächste, wirklich landschaftlich schöne und gleichzeitig anspruchsvolle Möglichkeit des Offroad-Fahrens bietet sich im italienischen Piemont. Im Grenzgebirge zwischen Frankreich und Italien – da gibt es jede Menge Freiheit und vor allem feinste Offroad-Strecken.

Im August 2022 tausche ich meinen bequemen Bürostuhl gegen den noch viel bequemeren Touratech-Sattel einer Honda Africa Twin. Schnell lasse ich den heimatlichen Schwarzwald hinter mir und bin nur wenige Stunden später im italienischen Bardonecchia angekommen. Und gleich am ersten Tag gönne ich mir vielleicht gleich die lohnendste Enduro-Tour in dieser Region: den Monte Jafferau.

Dieser äußerst interessante Berggipfel mit 2801 Meter Höhe ist ein beliebtes Ziel unter den ambitionierten Enduristen. Witterungsbedingte Ausspülungen, Verschüttungen und umgestürzte Bäume machen diesen interessanten Hochpunkt auch in der schneefreien Zeit nicht immer befahrbar. Das ehemalige Militärsträßchen besitzt zwar einen festen Unterbau – dennoch sind manche Passagen, vor allem im oberen Bereich des Berges recht kniffelig zu befahren. Auf dem Berggipfel thront ein altes Sperrfort und erinnert an kriegerische Zeiten. Aber einmal oben angekommen hat man dieses beglückende Gefühl und beste Weitsicht über die cottischen Alpen. Heute ist dieser Gipfel etwas ganz Besonderes für mich. Ich habe in den vergangenen Jahren 14-mal versucht, bis auf den Gipfel zu fahren. Fünfmal hatte ich keinen Erfolg. Entweder versperrten Schneefelder und/oder Muren-Abgänge die Weiterfahrt. Wie der große Le Mans Rennfahrer Ken Miles im Filmklassiker „Gegen jede Chance“ sagt: Der Sinn liegt in der Suche nach der perfekten Runde…

 Und so ist es auch häufig bei den Offroad-Touren. Manchmal spielt das Wetter verrückt, manchmal erwischt man einzelne Passagen nicht gut, und manchmal ist es auch so, dass einfach der Wurm drinnen ist und man meilenweit von der perfekten Runde entfernt ist. Heute klappt alles bestens und ich stehe nach vielen Offroad-Serpentinen mit adrenalindurchfluteten Adern auf dem Dach der Befestigungsanlage vom Monte Jafferau. Zum zehnten Mal – und bestimmt nicht zum letzten Mal.

Eigentlich, so sagt man, sollte man gerade im Offroad-Bereich stets in Gruppen – mindestens jedoch zu zweit – unterwegs sein. Dieses Mal habe ich mich entschieden alleine zu reisen. Es ist schön, seine Erlebnisse untertags mit Freunden abends bei einem Gläschen Wein revue-passieren zu lassen. Es ist aber auch schön, dass Glück allein zu genießen. Klar – das Thema „Unglück“ lässt sich bei einem Unfall und/oder Motorradschaden im Gelände viel schlechter managen, als wenn man mit einem Kompagnon unterwegs ist. Dennoch – die Entscheidung habe und werde ich auch im Verlauf der einwöchigen Offroad-Tour nicht bereuen. Die Flexibilität der Solotour ist maximal.

Am nächsten Tag stehen gleich zwei weitere Highlights auf dem Tourplan. Der Colle Sommeillier mit seinen 3009 Metern Höhe ist der höchste, legal zu befahrene Alpengipfel. Und obwohl ich diesen Berg bereits mehrfach unter die Stollen genommen hatte, ist es dieses Mal schon etwas Besonderes – ich bin alleine in dieser großartigen Bergwelt. Das alte Schottersträßchen schlängelt sich Serpentine um Serpentine hinauf. Weit oben erkennt man bereits noch vorhandene Schneefelder. Da ich sehr früh gestartet bin, habe ich diese grandiose Landschaft ganz für mich allein. Oben auf dem Gipfel erkenne ich dann, dass sich das Klima wirklich verändert. Bei meiner ersten Befahrung vor gut 10 Jahren war oben ein gut gefüllter Gletschersee. Von dem Gletscher ist nicht mehr sehr viel übriggeblieben – und der See erinnert eher an einen Tümpel als ein einen früheren Gletschersee. Ich genieße den Ausblick auf dem Colle Sommeillier und retourniere nach Bardonecchia, wo eine große Portion köstlicher Spaghetti auf mich wartet.

Der Nachmittag gehört dann einem besonderen Leckerbissen, den jeder Enduro-Fahrer, der im Susa- oder Chisonetal unterwegs ist, in seiner Routenplanung berücksichtigen sollte: Die Assietta-Kammstraße. Das knapp 40 Kilometer lange, von der Südrampe des Colle delle Finistre über zahlreiche Hochpunkte führende ehemalige Militärsträßchen vermittelt eine einzigartige „Gratwanderung“. Man genießt eine Vielzahl an Weit- und Ausblicken und ich habe das große Glück, dass weit unter mir Hochnebel und Wolkenformationen ein dramatisches Schauspiel liefern. By the way – auch hier kann ich ein Jubiläum feiern – ich habe zum zehnten Mal diese wunderbare Kammstraße unter die Stollen genommen.

Ein Stellungswechsel steht an: Ich verlasse Bardonecchia um in das legendäre Maira-Stura-Tal zu fahren und dort zwei verschiedene Kammstraßen zu befahren. Um dorthin zu gelangen, steht eine weitere Offroad-Strecke mit hohem Fahrspaß und schwierigen Passagen an. Ziel ist der Scheiteltunnel des Col de Parpaillon. Diese ziemlich unbekannte Passstraße von Embrun nach Contamine-Chatelard ist nur selten durchgehend zu befahren. Auch im Hochsommer können Schneewechten sowie der möglicherweise total vereiste Untergrund des Scheiteltunnels die Weiterfahrt unmöglich machen. Dieser ca. 500 Meter lange Tunnel steht jedoch bei meiner Durchquerung hoch unter Wasser. Ca. 30-50 cm tiefe Wasserfurten im Tunnel bei völliger Dunkelheit zu passieren, lässt den Puls deutlich in die Höhe schnellen. Dennoch ist dieser leicht mystische Ort ein wahrer alpiner Leckerbissen. Die weitere Fahrt über den Col de Izoard sowie den Col d’Agnello hätte mich vor vielen Jahren, als ich noch dem Enduro-Virus unterlegen war, bestimmt begeistert. Ja – früher, als engagierter Tourenfahrer sagte ich immer „Es ist ein großes Unglück, Schotter unter den Reifen zu haben – heute sage ich eher – es ist ein großes Unglück Teer unter den Reifen zu haben…“.

Ein Blick auf die Landkarte macht uns auf den Col La Colletta aufmerksam. Schnell habe ich den Ausgangspunkt dieser alten Militärstraße in Accegio angefahren und nun beginnt ein Offroad-Abenteuer auf 2830 Meter Höhe. Der Weg ist in einem schwierigen Zustand und nicht umsonst wird diese Straße unter den „100 dangerous roads of the world“ gelistet. Vor allem der Teil ab ca. 2500 Meter Meereshöhe ist einem sehr ruppigen Zustand der reichlich Adrenalin verursacht. Bereits im vergangenen Jahr bin ich bis auf ca. 2750 Meter gekommen, wo mir dann Anfang Juli ein großes Schneefeld die Weiterfahrt versperrte. Aus den Beschreibungen wusste ich, dass die letzten Höhemeter bis zu einem alten Sperrfort auf einem ausschließlich für Enduros zu befahrenen, knapp einem Meter breiten, extrem ausgesetzten Pfad mit einer Hangneigung von ca. 35 – 40 Grad zu bewältigen ist. Und wie das so ist – in einem Augenblick ist man noch völlig von der grandiosen Landschaft fasziniert – im nächsten Augenblick befindet man sich bereits in voller Fahrt auf diesem sehr schwierigen Endstück. Als Enduro-Fahrer hat man gelernt: Wenn es schwierig – mehr Gas geben. Und wenn es noch schwieriger wird – dann noch mehr Gas geben… Und so „fliege“ ich quasi die letzten Meter bis zum Gipfel hinauf und bin total begeistert, dass ich diese Stelle eigentlich ganz einfach bewältigt habe. Wie immer fotografiere ich auf dem Gipfel viel und versuche die adrenalingeschwängerten Nerven zu beruhigen. Doch der Gedanke an die Rückfahrt lässt schon ein wenig Respekt aufkommen zumal das Wetter zu kippen droht. Rasend schnell kommt eine Gewitterfront auf mich zu, sodass ich die Abfahrt sowie die Rückfahrt nach Sampeyre angehe.

Nach diesen Straßenkilometern fühlt es sich dann wieder gut an, unbefestigten Untergrund zu befahren. Die Maira-Stura-Kammstraße zählt zu einem Netz ehemaliger Militärsträßchen, welche überwiegend als schmale geschotterte Fahrwege mit festem Untergrund angelegt wurden. Diese Straße verbindet die beiden Täler Maira und Stura miteinander. Ihre Höhenlage vermittelt mannigfache herrliche Ausblicke. Diese knapp 40 Kilometer lange Offroad-Strecke ist sicherlich aufgrund der sich rasch wechselnden verschiedenen Bergpanoramen als einzigartig zu betrachten. Steile Auffahrten sowie tiefe Schluchten unterstreichen die einzigartige Bergwelt.

Ein weiteres Highlight der Piemont-Offroad-Tour bildet dann die Varaita-Maira-Kammstraße. Der Name „Maira“ lässt bereits erahnen, dass es sich hierbei im selben Gebiet wie oben um eine weitere Kammstraße handelt. Dieser echte Leckerbissen für leidenschaftliche Alpenfahrer bietet auf über 50 Kilometern echtes Offroad-Vergnügen. Sie folgt dem langgestreckten Gebirgskamm, der die großen Täler Varaita und Maira trennt. Aus den sonnenverwöhnten Niederungen am Rande der Poebene leitet das Sträßchen allmählich hinauf in hochalpine Regionen – eine Panoramafahrt durch mehrere Klima- und Vegetationsstufen. Auf dieser Tour sind nicht weniger zwölf kleine Wasserscheiden zu überqueren – dabei genießt man eine nicht abreißende Kette von Ausblicken.

Von den vielen Militärstraßen, welche Italien zwischen den beiden Weltkriegen an seinen Grenzen gebaut hat, ist die Ligurische Grenzkammstraße mit rund 60 Kilometern Länge die abgelegenste Kammstraße in diesem großen Grenzgebiet. Die Kammstraße verläuft vom kleinen und malerischen Städtchen Tenda aus zumeist auf Höhenlagen zwischen 1900 und 2100 m im oberen Royatal und berührt gelegentlich auch französisches Territorium. Dieser für eine Militärstraße merkwürdige Umstand erklärt sich dadurch, dass in der Region der Grenzverlauf vor 1947 teilweise ein anderer war als heute. Zahlreiche Militärforts, wie das Forte Centrale am Tenda-Pass aus dem Jahre 1880, säumen die hochalpine Kammstraße. Die meisten Höhenforts wurden zwischen 1880 und 1940 erbaut.

In der Vergangenheit diente die Kammstraße nicht selten als Schmugglerpfad – heute wird sie hauptsächlich von Schotterfreunden benutzt. Da ich mir fest vorgenommen hatte so wenig wie möglich Teer, sondern viel Schotter unter die Räder zu nehmen, ist es nur allzu logisch, genau mit dieser ausgesetzten und teilweise auch recht schwierig zu befahrenen Militärstraße mein Offroad-Abenteuer in diesem Jahr zu krönen. Obwohl ich die Ligurische Grenzkammstraße bereits von früheren Touren kenne, bin ich jedes Mal überrascht, in welch wechselhaftem Zustand die Zufahrtsstraßen sind. Ich tuckere mit meiner Enduro entlang einer atemberaubenden Natur in Richtung Col de Seigneurs. Die Kammstraße, welche geländebedingt rechts und links des italienischen Grenzgebiets zur Scheitelhöhe leitet, ist in ihrem gesamten Verlauf einspurig, selten knapp zweispurig. Es gibt viele Engstellen und diese Kammstraße ist häufig extrem ausgesetzt. Ein falscher Dreh am Gashahn und man würde stellenweise tatsächlich viele hundert Meter weit stürzen. Aber gerade diese Steilheit des Geländes macht den besonderen Reiz dieser Schotterstraße aus. Aber diese Ausgesetztheit birgt noch eine weitere Schwierigkeit – man stößt auf keinerlei Zivilisation auf diesen gut 60 Kilometern. Das ist einerseits richtig schön, andererseits ist die nächste Hilfe weit entfernt sollte mal etwas Unvorhergesehenes wie eine Panne oder ein Sturz passieren.

Die Ligurische Grenzkammstraße war und ist sicher ein Höhepunkt für jeden Offroad-Fahrer. Leider – oder glücklicherweise hat sich die Beschaffenheit dieser Offroadstrecke in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Was einst ein wirkliches Abenteuer war, ist heute für den versierten Enduro-Fahrer im ersten Drittel dieser Tour ein Kinderspiel geworden. Am Colle de Tenda wartet eine Mautstation auf den Lenker einer Enduro bzw. eines Geländewagens. Fünfzehn Euro darf man für das Permit bezahlen. Dafür ist die einst anspruchsvolle Strecke vom Colle de Tenda bis zum Col des Seigneurs auf 2112 Metern Höhe zu einer Offroad-Autobahn ausgebaut. Gut – ich übertreibe ein bisschen, aber die vielen stufenartigen Absätze sind alle begradigt, sodass einem der früher für Abenteuer vorbehaltende Refugio Don Barbara, Damen und Herren mit leichtem Schuhwerk, Röcken und kurzen Hosen entgegen kommen. Hier wurde sogar extra ein „Parkplatz“ angelegt, um den Touristen das Parkieren Ihrer riesengroßen SUVs zu erleichtern. Auf der einen Seite ist es ja begrüßenswert, die Naturschönheiten auch für weniger abenteuerlich eingestellte offroad-affine Menschen zu öffnen – auf der anderen Seite mutet diese Tendenz doch auch ein bisschen schockierend an. Mit bestem Equipment – aber mit wenig Kenntnis lenken diese großen SUVs ihrem Ziel, dem Col des Seigneurs entgegen. Die einzige Herausforderung ist es, wenn Gegenverkehr aufkommt - dann sind diese Lenker sehr schnell an ihren Grenzen, denn rückwärtsfahren ist nicht jedermanns Sache – vor allem wenn die Rückfahrkamera beim Edel-SUV total eingestaubt ist.

Ganz anders präsentiert sich die Ligurische Grenzkammstraße ab dem Col des Seigneurs. Die Weiterfahrt zum Monte Saccarello, welcher der höchste Berg der italienischen Region Ligurien ist, zeigt sich diese Grenzkammstraße von ihrer nach wie vor wilden Seite. Hier kommen dann doch nur die versierten Offroad-Liebhaber hin, die neben Abenteuer auch wirklich echtes Schottervergnügen suchen. Der Monte Saccarello liegt direkt an der Grenze zu Frankreich, der 2201 Meter hohe Gipfel gehört bereits zum Departement Alpes-Maritimes. Der Berg kann über eine etwa zwei Kilometer lange Straße angefahren werden, die kurz unter dem Gipfel endet. Sie zweigt von der Ligurischen Grenzkammstraße ab. Auf dem Berg befinden sich eine bekannte Erlöserstatue und eine kleine Kapelle. Von hier aus hat man bei guter Sicht nicht nur ein atemberaubendes 360Grad-Bergpanorama, sondern auch einen wunderbaren Fernblick bis zum Mittelmeer. Ich stehe heute bereits zum sechsten Mal in meiner Enduro-Karriere auf diesem Berg – und der Wettergott ist uns wirklich gut gesonnen – in weiter Ferne sehe ich das Mittelmeer wie einen großen Brillanten glänzen. Meiner Maxime „Kein Teer unter den Rädern“ kann ich heute bei meiner Weiterfahrt nach Pigna treu bleiben.

Der Ausblick für den nächsten Tag ist leider nicht so toll – die Heimfahrt steht an. Die weiteren Ausblicke sind ebenfalls wenig erquicklich – der bequeme Touratech-Sattel der Africa Twin, die diesem Gelände übrigens bestens gewachsen war, will wieder gegen den Bürostuhl ausgetauscht werden. Der angenehme Touratech-Anzug Companero will gegen Hemd und Sakko getauscht werden. Bleibt der Gedanke an neue Abenteuer in dieser Region.

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